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Das Kreuz am Acker

Das Kreuz am Acker

Titel: Das Kreuz am Acker
Autoren: Paul Friedl
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lief durch den Körper des Besenbinders ein Zucken, und er streckte sich. Sein Gesicht wurde starr. Wie eine eiserne Klammer zogen sich seine Finger um das Handgelenk des Bauern zusammen.
    Wie ein kalter Hauch ging es durch die Stube.
    Erschrocken fuhr der Bauer zurück und versuchte sich von dem Griff des Toten zu befreien.
    »Jesus und Maria!« stammelte er. An den Nägeln des Toten riß er sich die Finger blutig, und nur mit aller Kraft vermochte er die Finger zu brechen, die ihn nicht mehr loslassen wollten.
    Er raffte das Nottestament vom Tisch und hetzte aus dem Häusel.
    Daheim kam er totenbleich und völlig außer Atem an, und als er sich hinsetzte, fiel er von der Bank und schlug hart auf den Stubenboden.
    Lamentierend holte die Hauserin den Sepp herbei, und sie brachten den Bauern zu Bett. Den Ingenieur Wallenbeck, der dazu kam, bat sie, ins Dorf zu gehen und den Doktor anzurufen. Er ging sofort.
    Auf dem Weg begegnete ihm der Pfarrer. Freundlich erwiderte dieser den Gruß Wallenbecks und die Frage, wo er denn so spät am Abend noch hinginge.
    »Hab das Gefühl, daß ich wieder einmal in Hintereben nachsehen muß. Will zum Besenbinder, und ein kleiner Abendspaziergang ist es auch.«
    »Dem Schwaiger geht es auch nicht gut«, berichtete Wallenbeck, »bin gerade unterwegs, um den Doktor anzurufen.«
    »So? Dann werd ich wohl auch einen Abstecher zum Schwaiger machen müssen.« Aber der Ingenieur war schon weitergeeilt.
    »Ist mir gerade, als wenn jetzt der Herrgott in Hintereben mitreden tat. Ich glaube, daß diese Tage etwas bringen«, seufzte er für sich im Weitergehen. Hinter dem Glanz des Abendfriedens in diesem schönen Waldtal wohnten halt doch die Menschen mit ihrem leiblichen und seelischen Gebrest. Und für etliche von ihnen würde bald die Zeit kommen, wo sie abtreten mußten.
    Haustür und Stubentür standen im Besenbinderhäusel angelweit offen. Eine fremde Kälte schlug dem Geistlichen aus dem Innern entgegen.
    »Ist niemand daheim?« fragte er in die Totenstille. Die Hollerstaude vor dem einzigen Stubenfenster verdunkelte den Raum. Der Pfarrer zündete ein Streichholz an und sah in dessen flackerndem Aufleuchten das kalkweiße Gesicht des Toten.
    »Na, was ist denn da los!« Hastig rieb er ein zweites Hölzchen an und leuchtete umher. Auf den Rand des ziegelgemauerten Ofens war eine Kerze geklebt. Er zündete sie an.
    »Hast es überstanden, alter Hetscher, armer Teufel«, sagte er leise, als er dem Toten in das starre Gesicht leuchtete. Er faltete ihm die Hände über der Brust und schob ihm ein altes Kleidungsstück unter den Kopf. Machte ihm das Kreuzzeichen über die Stirne und betete auf dem Boden kniend die Sterbegebete.
    Da kamen leichte Schritte durch den Hausflur, und in der Stubentür, die der Pfarrer offengelassen hatte, stand die Agatha.
    »Um Gottes willen, Herr Pfarrer – ist er – «
    »Ja, Agatha, der ist gestorben. Beten wir ihm ein Vaterunser.« Beide knieten sie vor dem ärmlichen Lager des Toten und beteten.
    »Bleibst einstweilen da, ich hole Leute zur Totenwache«, sagte er und ging.
    Der junge Ranklhofer und der Ödhoferknecht hielten bis Mitternacht, bis sie abgelöst wurden, die Totenwache beim Hetscher. Die Agatha blieb bei ihnen. Als sie um Mitternacht miteinander heimgingen, fing der Franz bitter zu reden an:
    »Ist so ein kurzer Wisch, das Leben, und machen die Leute soviel Gesums und Getue darum! Man müßt alles viel leichter nehmen, weil doch einmal, beim Sterben, gar nichts mehr wichtig sein wird.«
    »Das mußt du dir einmal selber fest zu Herzen nehmen, Franz. Ich hab das schon von meiner Mutter gelernt. Aber du trägst noch schwer an Dingen, die auch net so wichtig sind.«
    »Du hast recht, und ich hab mir das bei dieser Totenwache auch überlegt. Du hast dem Alten viel Gutes getan, und besser hättest dich um den eigenen Vater net kümmern können.«
    »Ich komm halt aus einem Nothäusel und brauch alleweil jemanden, um den ich mich sorgen darf. Das macht mich glücklich.«
    »Wenn sich um mich auch jemand kümmern tat!« seufzte er.
    »Wird schon noch kommen. Bei dir wird es aber eine net leicht haben. Du bist einer, der alles in sich hineinfrißt und nichts sagt. Jeder braucht aber jemanden, dem er alles sagen kann, was ihn drückt.«
    »Ich bin ganz irr gewesen in der letzten Zeit. War eine Dummheit, und die hab ich eingesehen. Wenn ich eher gewußt hätte, was du für ein guter Mensch bist – aber du wirst mich jetzt nicht mehr leiden können – «
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