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Das kommt davon, wenn man verreist

Das kommt davon, wenn man verreist

Titel: Das kommt davon, wenn man verreist
Autoren: Barbara Noack
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zwingen. Darum bleibe ich verschwunden. Mamita
ist auf meiner Seite. Ich bleibe in Mexiko und gehe wieder auf meine alte
Schule zurück.«
    »Kannst du das überhaupt noch — nach allem?«
fragte Bob.
    »Warum nicht? Mir hat man ja nichts angesehen.«
    Er hatte einen Scherz gemacht und erwartete eine
Reaktion darauf. Sie blieb aus. Er spürte nur Ablehnung.
    Sie stellten auch keine Fragen mehr an ihn.
    Sie hatten sich plötzlich von ihm abgekehrt.
Warum? Er hatte sie doch gern. Ohne ihn wäre Rieke gar nicht nach Mexiko
gekommen, vielleicht niemals in ihrem Leben. Was war los mit ihnen? Pepe warb
um sie. Er fragte, ob sie schon ihre Zimmer gesehen hätten? Ob er ihnen einen
Drink kommen lassen dürfe? Vielleicht einen Tequila sour?
    Er wollte ihnen eine Silbermine vorführen, die
heute noch in Gang war. Das Theater zeigen. Die Universität. Das ehemalige Haus
seines Großonkels. Die Markthalle.
    »Nein, danke«, sagte Bob. »Wir finden uns schon
selbst zurecht.«
    Aber vielleicht die fabelhaft erhaltenen Mumien
aus der Zeit der Revolution, die man in den Silberstollen stehend aufbewahrt
hatte, weil auf dem Friedhof kein Platz für sie gewesen war? Darunter Gehenkte
und Schwangere. Manche hatten noch ihre Haare und ihre Kleidung an.
    »Nein, danke«, sagte Rieke.
    »Man hat sie jetzt hinter Glas stellen müssen.
Zu viele Besucher haben sich Souvenirs von ihnen abgepflückt.« Bob sah Rieke
an. »Ich denke, wir machen uns auf die Socken. Vor allem suchen wir uns ein
anderes Hotel.« Sie verließen den Fernsehraum und gingen durch die langen,
leeren, modrig riechenden Gänge zur Empfangshalle zurück. Pepe begleitete sie.
    »Es ist wahnsinnig langweilig hier«, sagte er.
»Wo wollt ihr denn noch hin? Vielleicht können wir was gemeinsam unternehmen.«
    Bob blieb stehen und sah ihn an, als ob er etwas
ganz Dummes gesagt hätte. »Gemeinsam?«
    »Na ja, wir haben doch immer — in München — in
Berlin — und...«
    »Weißt du, wo Malinche jetzt ist?« unterbrach
ihn Rieke.
    »Bei ihrem Vater. Sagte ich euch doch.«
    »Aber wo ist das?«
    »In San Miguel de Allende.«
    »Sind wir auf der Herfahrt da nicht
durchgekommen?« erinnerte sich Rieke.
    »Hast du sie inzwischen gesprochen?« fragte Bob.
    »Wir telefonieren manchmal. Ester hatte zwei
Tage Dünnpfiff, aber jetzt geht es ihr wieder gut.«
    »Gib uns Malinches Adresse«, sagte Bob.
    »Wieso? Wollt ihr sie besuchen? Das geht nicht —
ihr Vater ist da...« Er lief ihnen nach. »Warum habt ihr es so eilig? Wollt ihr
nicht wenigstens Onkel Enrique begrüßen?«
     
    Bob und Rieke antworteten nicht mehr. Sie gingen
über den Parkplatz auf ihren Wagen zu.
    Pepe war stehengeblieben. Sah ihnen nach.
    »Rieke!« rief er.
    Vor ein paar Tagen noch hatte sie so viel
Verständnis für seine Lage gezeigt, so viel Herzlichkeit für ihn aufgebracht.
Sogar mit ihm geheult. Was hatte er denn inzwischen verbrochen? War es seine
Schuld, wenn er nicht mit Malinche und dem Baby zusammen sein durfte? Was
sollte er denn machen?
    Dazu das Versteckspiel wegen diesem blöden
Internat. Er hatte es wirklich schwer...
    Und dann fiel ihm etwas ein. »Rieke!« rief er
noch einmal. Sie sah sich nach ihm um, ehe sie in den Wagen stieg.
    Pepe-einsam und rundlich auf dem riesigen
Parkplatz. »Was ist denn?«
    »Ich hab’ ganz vergessen, dir zu sagen, daß dein
Telegramm angekommen ist. Mamita hat’s mir heute mittag am Telefon erzählt.«
    »Na endlich. — Danke, Pepe. Leb wohl!«
    Sie waren sehr schweigsam, als sie durch die
Stadt fuhren.
    »Schließlich ist er doch noch ein Kind. Er tut
mir leid.« Jeder arme Händler tat ihr leid. Jede Indiofrau, die schwere Lasten
schleppen mußte. Jeder einsame Greis. Jedes bettelnde Kind. Jeder herrenlose
Hund. Jeder Strauch, der nicht genügend Wasser kriegte. Jede Handarbeit, die so
viel Mühe gekostet hatte und keinen Käufer fand — selbst dieser verwöhnte,
verzogene Pepe.
    »Du und dein Mitleid«, sagte Bob.
     
    In einem ehemaligen, von durchsonnten Gärten
umgebenen Kloster aus der Kolonialzeit befand sich heute eine Kunstschule für
Malerei, Musik, Tanz, Silberschmiede... Hier war Malinches Vater als Lehrer
tätig. Außerdem gehörte ihm eine Galerie im Ort. Dieser Ort San Miguel de
Allende war ein verträumtes Provinzstädtchen, einst wohlhabend erbaut. Hier
hatten die Silberbarone von Guanajuato ihre Besitzungen erreicht, auch
Isabellas Vorfahren.
    Bob und Rieke schauten eine Weile durch die
Ladenscheibe. Im Hintergrund des Ausstellungsraumes
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