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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster
Autoren: Jonathan Barnes
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seiner Jugend mehr Frauen gefesselt hatte, als er zählen konnte, war unter der Patina von Alter, aufreibender Lebensweise und dem Nachtrauern um Versäumtes kaum mehr zu erahnen.
    Großvater besaß die Gabe, andere Menschen in seinen Bann zu ziehen, das Talent, sich ein Gefolge zu schaffen. Nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hatte, um sich für den Rest seines Lebens dem Suff zu widmen, erfuhr die Qualität seiner Anhänger einen schwindelerregenden Niedergang, bis ihn am Ende nur noch die Schnorrer umwedelten, die Nichtstuer und Herumtreiber, die Schmarotzer und die ewigen Verlierer: menschliches Treibgut, angeschwemmt in den Kneipen just in der Minute, in der sie aufsperren, auf den Stühlen klebend die ganze benebelte Flaute nach dem Mittagessen hindurch bis zum späten Nachmittag, wenn die Schlipsfraktion zur Tür hereintrampelt. Genau um diese Tageszeit beginnt meine Geschichte: zu der Stunde, wenn Männer wie mein Großvater in den Pubs regieren. Sie beginnt zur Stunde der Rentner.
    Er setzte zu einem Witz an – irgendetwas Abgedroschenes, das – in Opas Lieblingskonstellation – mit einem Engländer, einem Iren und einem Schotten seinen Anfang nahm. Für mich ist es ein Quell nie versiegenden Bedauerns, dass er nicht bis zur Pointe kam. Hätte er sie noch erreicht, so denke ich manchmal, wäre womöglich alles anders gekommen.
     
    Also: ein Engländer, ein Ire und ein Schotte wurden vor die Königin zitiert …
     
    Großvater sammelte schlechte Witze, hatte seinerzeit sogar selbst einige verfasst, und diesen hier hatte er wohl breit ausgewalzt, detailverliebt und mit stark übertriebenem Dialekt der drei Akteure. Großvaters Höflinge glucksten bereitwillig dazu – selbst zu dieser Tageszeit schon bierselig genug, um über fast alles zu lachen. Außerdem lockte der nächste Humpen, der nach dem Ende des Witzes fällig wurde, denn es war Verlass darauf, dass Großvater – trotz seiner gelegentlichen List und Tücke – diese Runde ausgab.
     
    Da stehen also der Engländer, der Ire und der Schotte im Buckingham-Palast aufgereiht vor der Königin: drei Männer, die mit aufgerissenem Mund, aber stumm die Pracht und den Glanz um sich herum anglotzen wie einfältige Bauerntölpel. Die Königin hat eine Aufgabe für sie – als eine Art Ausdruck ihres Wohlwollens – und fragt die drei, ob es etwas gebe, was sie nicht für sie tun würden. Es ist der Engländer, der als Erster vortritt. »Nichts«, sagt er. »Es gibt nichts, was ich für meine Königin nicht tun würde!«
    »Das gilt auch für mich«, sagt der Ire.
    »Und für mich«, sagt der Schotte.
    Worauf die Königin fortfährt: »Würdet ihr für mich töten? Würdet ihr für mich Menschen erschlagen, erdolchen, in Stücke hacken?«
    Die damals im Pub Anwesenden bezeugen übereinstimmend, dass genau in diesem Augenblick Großvaters Stimmung vollständig umschlug. Es war, als hätte ein Luftzug die ausgelassene Stimmung zum Fenster hinausgesaugt.
    Er zuckte zusammen, und ein Schatten flog über seine Gesichtszüge. Alle schwören Stein und Bein, dass es die folgenden Worte waren, die er mit vor Aufgewühltheit krächzender Stimme hinzufügte: »Das ist kein Witz. Das ist ein Geheimnis.«
    Ein neuerliches Zusammenzucken folgte – oder besser, etwas, das als Zucken begann und in ein heftiges Zittern überging, ehe es schließlich zu einem veritablen Krampfanfall auszuarten drohte, als der Alte von seinem Stuhl kippte und mit dem Gesicht nach unten auf den klebrigen Boden schlug. Sein Gefolge starrte ihn triefäugig an; der eine oder andere hielt den Vorgang für einen Teil des ganzen Ulks und wünschte sich so langsam, der Alte möge doch weitermachen, endlich wieder auf die Füße kommen und eine Runde Bier spendieren. Doch dann wurde mit einem Mal allen klar, dass es hier nicht bloß um die Vorspiegelung falscher Tatsachen ging, und ein besorgtes Murmeln durchlief den Kreis der Stammgäste. Eine leichte, wenngleich spürbare Ernüchterung war die Folge.
    Aus dem hinteren Teil des Lokals, wo er zusammen mit zwei ebenso unauffälligen Freunden schweigend und unbemerkt bei einer Limonade gesessen hatte, trat ein Fremder vor. Mit förmlicher, ausdrucksloser Stimme stellte er sich als Arzt vor und fragte – höflich, doch mit der Bestimmtheit eines Mannes, der es gewohnt war, dass man seinen Worten Aufmerksamkeit schenkte –, ob seine Hilfe benötigt würde. Er trug einen altmodischen dunklen Anzug, eine dünne Krawatte und ein schmuddeliges weißes Hemd
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