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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster
Autoren: Jonathan Barnes
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Gesellschaft zu haben«, sagte ich, ehe ich daranging, ihr das ganze Ablagesystem zu erläutern (ein unnötig kompliziertes Gewirr von Abkürzungen, Akronymen, Gedächtnishilfen und Zahlencodes), während sich Barbara rechtschaffen bemühte, ein Gähnen zu unterdrücken.
    »Und das hier ist erst die Spitze des Eisbergs«, stellte ich schließlich fest, »ein winziger Teilbereich. Natürlich befindet sich eine Menge älteres Material in unserer Außenstelle in Norbiton, aber selbst dort wird uns demnächst der Raum zu klein werden. Das dürfte ein echtes Problem geben.«
    »Und Sie machen das alles wirklich schon seit drei Jahren?«
    Ich versuchte ein Grinsen. »Ich büße eben meine Sünden ab.«
    »Wird Ihnen denn nie langweilig?«
    »Manchmal.« Seufzend gestand ich die Wahrheit ein. »Oder sagen wir tagtäglich.«
     
    Den Rest des Vormittags wich Barbara nicht von meiner Seite und gab vor, jeden meiner Handgriffe aufmerksam zu verfolgen (mir »auf die Finger zu sehen«, wie Peter es genannt hatte). Doch immer wieder ertappte ich sie dabei, wie sie mich heimlich betrachtete, und ich fragte mich, ob sie für diese Seitenblicke nicht mehr Zeit aufwendete als für die Beschäftigung mit den Dokumenten und Akten, denen sie eigentlich ihre ganze Aufmerksamkeit schenken sollte. Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte, obwohl ich eine Befürchtung hatte – die allerdings deckt sich mit ziemlicher Sicherheit nicht mit dem, was Sie denken.
    Zehn vor eins waren wir zurück an meinem Schreibtisch, und ich kämpfte gerade mit einer besonders unbotmäßigen Auflistung am Computer, als das Telefon klingelte.
    »Henry? Peter hier. Kommst du mal auf einen Sprung in meine Höhle?«
    Mein Schreibtisch war von seinem aus binnen Sekunden zu erreichen, aber er genoss es offenbar, mich zu sich zu zitieren.
    Er sah kaum auf von seinem Bildschirm. »Wie macht sich das neue Mädel?«
    »Ganz ordentlich. Scheint recht fähig zu sein.«
    »Gut, gut, gut. Ich hatte gerade einen Anruf von Phil Statham. Er will irgendein Einführungsgespräch mit ihr führen. Vierzehn Uhr heute Nachmittag im Konferenzraum. Sicherheitsschulung.«
    »In Ordnung, ich sage es ihr.«
    »Ich möchte, dass du auch dabei bist.«
    Ich räusperte mich. »Ich habe den Sicherheitslehrgang schon absolviert, Peter.«
    »Klar, klar, klar. Aber nach dem bösen Schnitzer letzten Monat …«
    Ich spürte, wie ich rot wurde.
    »Du verstehst?«
    »Natürlich.«
    »Na schön. Amüsiert euch noch, ihr beiden, okay?« Und er wedelte mit einer billig beringten Hand, um mir anzuzeigen, dass die Audienz beendet war.
     
    Ich esse zu Mittag gern allein. Da suche ich mir am liebsten eine Bank am Ufer, wickle meine Brote aus und versenke mich ins Dahinfließen der Themse. Ich kann eine ganze Stunde damit verbringen, dem Fluss zuzusehen, wie er nach den Ufern fasst und sich geradezu darin verbeißen will, während ein Abschaum aus blinden Passagieren auf seinem Rücken tanzt: Plastikflaschen, leere Kartoffelchipstüten, benutzte Kondome, nasse Papierfetzen und der ganze übrige Großstadtmüll, der eine Weile auf dem dunklen Wasser schwimmt, ehe er entweder an Land geworfen oder in die Tiefe gesaugt wird. Schon oft habe ich mich verspätet, weil ich mich nicht losreißen konnte von dieser flüssigen Geschichtsstunde, in der ich mich fragte, wer vor mir da war und wer wohl nach mir kommen wird, wer in den Anblick dieses Abschnitts des Flusses versunken war, wer so wie ich dieses Wasser in seinem endlosen, geheimnisvollen Zyklus von Ebbe und Flut beobachtet hat.
    An diesem speziellen Dienstag jedoch hatte ich Barbara bei mir. Sie hatte kein Mittagessen mitgebracht, und so waren wir gezwungen, in einen Laden zu gehen, wo sie für ein Käsebaguette einen kompletten Stundenlohn verjubelte.
     
    Am Flussufer herrschte das übliche lebhafte Londoner Treiben. Wir begegneten Scharen von Touristen und Gruppen von selbstgefälligen Männern in Anzug und Krawatte – Letztere samt und sonders in wichtigtuerischer Eile, Erstere gemächlich dahinschlendernd, erfüllt von Neugierde und hochgeschraubter Erwartung. Wir kamen an einem Obdachlosen vorbei, der sich ein paar Pennies mit Jonglieren verdiente, einer Schulklasse, die einen Ausflug in die Hauptstadt machte, und an einer jungen Frau mit glatt rasiertem Schädel, die uns um Spenden für irgendeine wohltätige Vereinigung anbettelte. Ein Nordic Walker stapfte mit seltsam schiefer Kopfhaltung weltentrückt an uns vorbei, eine blinde Frau
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