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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster
Autoren: Jonathan Barnes
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zurückgelehnt an seinem Schreibtisch, die Hände hinter dem Kopf verschränkt in dem angestrengten Versuch, Lässigkeit auszustrahlen – wozu wohl auch der Umstand beitragen sollte, dass er sein dichtes, ergrauendes Haar viel zu lang wachsen ließ. Er trug keine Krawatte, und sein Hemd stand weit genug offen, um den Blick auf eine Matte aus schwarz-weiß gesprenkeltem Brusthaar sowie – noch fragwürdiger – den Glanz billiger Kettchen freizugeben. Der arme Peter. Letztes Jahr hatte er eine Woche lang einen Ohrring getragen, bis seine Vorgesetzten ein ruhiges, aber bestimmtes Gespräch unter vier Augen mit ihm geführt hatten.
    »Peter? Das hier ist Barbara. Sie wird uns bei der Ablage helfen.«
    »Barbara! Willkommen an Bord!« Er stand auf und trat näher. Es folgte ein Händedruck.
    »Sie werden also für Henry arbeiten?«, fragte er.
    »Das nehme ich an.«
    Peter kniff ein Auge zusammen. »Dann geben Sie schön acht und sehen Sie ihm auf die Finger. Er weiß, wo alle unsere Leichen begraben sind.«
    Zu dritt brachten wir ein lahmes Gelächter zustande.
    »Also, wie ist es Ihnen am liebsten: Barbara? Barbie?« Er unterbrach sich, offenbar getroffen vom Blitz einer brillanten Idee: »Wie gefällt Ihnen Babs?« Und mit Hoffnung in der Stimme: »Ist nicht so lang.«
    Die Kleine wirkte in die Enge getrieben. »Ja, manche Leute nennen mich Babs.«
    Das bezweifelte ich; sie sah einfach nicht nach Babs aus.
    Peter begab sich jugendlichen Schrittes zurück hinter seinen Schreibtisch. »Mögen Sie Musik, Babs?«
    »Ja, schon.«
    Jetzt tat sie mir nur mehr leid. So benahm Peter sich immer bei Frauen, die jünger waren als er selbst, und das war eine Altersgruppe, die – vielleicht nicht ganz zufällig – die Mehrzahl der weiblichen Beschäftigten in unserem Büro umfasste.
    »Ich war gerade im Internet, um mich nach Tickets für ein paar Gigs umzusehen. Haben Sie schon mal von einer Band namens Peachy Cheeks gehört?«
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Und Boner ?«
    Ein zaghaftes Kopfschütteln.
    »Arse Bandits?«
    Barbara überlegte kurz. »Da klingelt auch nichts bei mir.«
    Peter hob die Schultern. »Wundert mich eigentlich nicht. Sind recht ausgefallene Sachen. Gehört …«, er unterbrach sich für ein affektiertes kleines Auflachen, »gehört nicht unbedingt zum Mainstream.« Eine scheußliche Pause, dann: »Na schön! Prima, Sie kennengelernt zu haben, Babs! Wenn Sie irgendwelche Fragen haben – nur immer hereinspaziert!«
    Und er zwinkerte ihr zu.
    Großer Gott, der Mann zwinkerte ihr tatsächlich zu!
     
    »Tut mir leid, das mit ihm«, sagte ich, als die Tür ins Schloss gefallen war und wir uns sicher außer Hörweite befanden.
    »Braucht es nicht. Er scheint ja ganz nett zu sein.«
    »Warten Sie’s ab. Kommen Sie, holen wir uns Kaffee. Ich suche uns ein leeres Konferenzzimmer.«
    Ich fand einen Raum, in dem wir eine Weile saßen und in verlegenem Schweigen in unsere Tassen starrten.
    »Ich sollte Ihnen wohl ein wenig über das erzählen, was wir hier eigentlich machen«, ergriff ich schließlich das Wort. »Was hat man Ihnen denn bei der Vermittlung gesagt?«
    »Nicht viel.« Sie wirkte kleinlaut.
    Also gab ich ihr die üblichen Informationen. »Wir sind die Leute, die für die amtliche Registratur zuständig sind. Wir legen jedes Dokument ab, das aus dem öffentlichen Dienst kommt, und katalogisieren es.«
    »Klingt ja sehr spannend …«
    »Nun, es hat durchaus seine hübschen Seiten. Die Suche nach manchen alten Urkunden kann überraschend interessant sein.«
    »Und wie lange arbeiten Sie schon hier?«
    »Ich?«, fragte ich – als ob es irgendeinen anderen Ansprechpartner gegeben hätte. »Oh, ungefähr drei Jahre.«
    »Sie arbeiten seit drei Jahren im Archiv?«
    »Irgendwie muss man doch sein Brot verdienen!«, protestierte ich. »Wie auch immer, wir müssen los. Sie sollen ja sehen, wo der ganze Zauber stattfindet.«
     
    Der größte unserer Depoträume hatte die Ausmaße mehrerer Tennisplätze, wirkte jedoch dank der gewaltigen Stahlschränke, die jeden verfügbaren Zentimeter einnahmen und sich aneinanderdrängten wie die Pendler bei der morgendlichen Fahrt zur Arbeit, eng und beklemmend. Der Raum war randvoll mit schimmelndem Papier, zugestopft von einem Ende bis zum anderen mit toten Statistiken, uralten Strafanzeigen, zerfallenden Memoranden und lang vergessenen Protokollen. Ihn umwehte der Hauch eines Bücherantiquariats, das nie etwas verkauft.
    »Wird nett sein, hier drin endlich mal
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