Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster
Autoren: Jonathan Barnes
Vom Netzwerk:
mit sonderbar hohem Kragen – sein Auftritt wirkte in diesem Lokal völlig unangebracht, geradezu absurd fehl am Platz.
    Kaum war er aus dem Hintergrund aufgetaucht, trennte sich einer seiner Gefährten – auf dieselbe wunderliche Art gekleidet – von seiner Limonade und trat an seine Seite. Ohne die geringste Gemütsregung präsentierte auch er sich als Arzt und bot mit lauter Stimme seinen Beistand an.
    Mit der wirren Logik eines immer wiederkehrenden Traumes schlenderte ein dritter Fremder in identischer Aufmachung zum Tresen, um dort zu verkünden, dass er seine Ausbildung im Bartholomäuskrankenhaus genossen habe und dass auch seine Dienste in vollstem Umfang zur Verfügung stünden.
    Zu beduselt, um sonst viel zu tun, schlurften die Umstehenden einen Schritt zurück, während sich die Fremden neben Großvater auf die Knie niederließen wie die Heiligen Drei Könige, die sich in ein Altenheim verirrt hatten. Einer von ihnen drehte Großvater auf den Rücken, griff nach seinem Handgelenk und tastete mit Daumen und Zeigefinger nach dem Puls. Nach ein paar Sekunden verkündete er, dass der Alte noch lebte, und erst da kroch ein Hauch von Gefühl in seine Stimme; später berichtete Großvaters Gefolge, dass es nach Enttäuschung geklungen hätte.
    Während der zweite Fremde noch darüber spekulierte, ob es sich um einen Schlaganfall, einen Herzinfarkt oder eine Embolie handelte, zog der dritte das Tüchlein aus der Tasche seines Jacketts, fuhr sich damit über die Stirn und warf lautstark die Frage auf, ob nicht irgendjemand einen gottverdammten Krankenwagen rufen könne.
     
    Als meine Mutter mir die ganze Geschichte erzählte, unterbrach ich sie an dieser Stelle, denn gerade hatte mein Herz in wilder Hoffnung begonnen, Rad zu schlagen. »Du sagtest doch, er wäre tot!«
    Ich konnte die Gehässigkeit heraushören: »Na ja«, sagte sie, »so gut wie.«
     
    Da gibt es noch etwas, das Sie wissen sollten. Jeder dieser Männer, dieser angeblichen »Ärzte«, bediente sich einer anderen regionalen Färbung unserer Sprache, jede davon so ausgeprägt und charakteristisch, dass sie augenblicklich zu erkennen und zuzuordnen war.
    Drei Männer – drei Stereotypen auf zwei Beinen. Ein schlechter Witz.
    Ein Engländer, ein Ire und ein Schotte.

ZWEI
     
    Dienstags erlebe ich nie irgendwas Ungewöhnliches. Es ist verlässlich der langweiligste Tag der Woche. Selbst jener Dienstag, an dem mein Leben zum freien Fall in die Schlucht des Horrors ansetzte, schien fürs Erste keine Ausnahme zu werden.
    Ein paar Sekunden, bevor der Wecker klingeln würde, öffnete ich die Augen, rollte mich auf die andere Seite des Bettes und drosch auf die Uhr, um ihr Vorhaben zu vereiteln. Ich begrüßte die Aussicht auf einen neuen Tag mit einem unwilligen Ächzen, stand auf, ging aufs Klo, wusch mir die Hände und trottete in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. Auf der Suche nach irgendetwas Verwertbarem fürs Frühstück durchstöberte ich den Kühlschrank und entschied mich schließlich für eine übel zugerichtete, mehlige Banane. Aber ich war enttäuscht, meine Zimmerwirtin nicht anzutreffen – und auch nicht den geringsten Hinweis darauf vorzufinden, dass sie überhaupt schon wach war.
    Wir – meine Vermieterin und ich – lebten in drei Zimmern in einem recht verwohnten Häuschen in Tooting Bec, SW17, ein paar Schritte entfernt von einer belebten Straße, die diesen typischen Londoner Duft verströmte, dieses Eau de Tooting: Bier, Joints und Gosse; angefaulter Fisch, Abgase, alte Pisse. Meine Zimmerwirtin wohnte hier schon seit etlichen Jahren, während ich immer noch der Neue war, der sich zwar erst vor wenigen Wochen eingenistet hatte, aber doch schon lange genug hier lebte, um sich über seine Gefühle für sie klar zu werden.
    Nachdem ich geduscht hatte und in den Anzug geschlüpft war (der an den Knien bereits glänzte und als Folge der zahllosen Besuche in der Wäscherei an den Säumen schon leicht ausfranste), trödelte ich, ich muss es gestehen, beim Schmieren der Brote, in der Hoffnung, doch noch meine Zimmerwirtin gähnend und mit verklebten Augen auf der Jagd nach Cornflakes auftauchen zu sehen. Aber ihre Tür blieb unwiderruflich geschlossen.
    Ich nahm meine Brote und meinen Helm und verließ die Wohnung; ich vergaß auch nicht, auf dem Weg nach draußen die Eingangstür zweimal zuzusperren. Es war ein kalter, klarer Dezembermorgen, und mein Atem wehte wie Rauch hinter mir her. In der Nacht hatte es stark geregnet, und die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher