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Das Koenigreich der Luefte

Das Koenigreich der Luefte

Titel: Das Koenigreich der Luefte
Autoren: Stephen Hunt
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hatten sich geleert, und die kleinen Pferdekutschen brachten jeden, der wollte, durch die enge Stadt bis zu den Kanalschleusen, nach denen die Ortschaft Hundred Locks – Hundert Schleusen -benannt worden war.
    Unter den noch verbliebenen Reisenden befand sich ein Mann, der zu der inzwischen zerknitterten Beschreibung passte, die Olivers Onkel am Morgen auf seinem Schreibtisch hingekritzelt hatte: Er war dünn, etwas kleiner als der gut sechs Fuß große Oliver, und war mit einem Schopf dunkelblonden Haares gesegnet, das er vergleichsweise kurz und struppig geschnitten trug. Was in der Beschreibung fehlte, war die dunkle Eisenbrille, die auf seiner Nasenwurzel saß. Billige Massenware, wie sie nie auf den edlen Regalen der Optiker in der Hauptstadt zu finden gewesen wäre.
    Oliver war es gewöhnt, Besucher vom Flugplatz nach Seventy Star Hall zu führen, dem Haus seines Onkels, aber normalerweise handelte es sich dabei um gutsituierte Kaufleute, wie Titus Brooks selbst einer war. Sein Lagerhaus in Shipman Town quoll über vor Fässern voller Imperiumswein oder Apparaten aus den Stadtstaaten, und gerüchteweise befand sich dort sogar Branntwein, der noch immer aus Quatershift geschmuggelt wurde. Hunderte von Jahren war dieser Handel schließlich völlig legal gewesen, bis er nach dem Zweijährigen Krieg sowohl in Quatershift als auch in Jackals verboten worden war.
    Der Mann, den Oliver nun anstarrte, sah mehr wie ein billig gekleideter Schreiber einer Gemeindeverwaltung aus. Oliver ging auf ihn zu. »Mister Stave?«
    »Harry«, sagte der Mann und streckte Oliver seine Hand entgegen. »Harry Stave. Das letzte Mal, dass man mich Mister Sonstwas nannte, war …« Er sah Oliver an und kam offenbar zu dem Schluss, dass seine Geschichte kaum für dessen Ohren geeignet war. »Nun ja, sagen wir, das ist sehr lange her. Nenn mich einfach Harry und sag du zu mir.«
    »Mein Onkel erwartet dich, Harry.« Oliver deutete zur Stadt hinüber.
    »Sicher tut er das, alter Knabe. Aber mein Gepäck wird leider gerade erst aus der Lady Hawklight ausgeladen.«
    Man hatte ein Kissen aus Hanfhetzen unterhalb der Ladeklappe der Gondel ausgebreitet, das nun die königlichen Postsäcke aufnehmen sollte, auf denen rot das KvJ-Siegel prangte, das einen Löwen vor dem Fallgatter des Hauses der Hüter zeigte. Ein Dampfmann zog einen Karren aus dem Schatten des Aerostats, auf dem sich Fässer, Pakete und Reisekisten türmten.
    »Du reist ja nicht gerade mit leichtem Gepäck.«
    »Es ist nur die eine«, sagte Harry und hob eine abgestoßene Reisekiste mit Elfenbeingriffen vom Wagen. »Das war’s schon.«
    Harry sprach jedes Wort mit einer Sorgfalt aus, als würde er jeden Vokal vorsichtig polieren, bevor er ihn über die Lippen brachte; ein Umstand, der wenig zu der ansonsten recht ungeschliffenen Erscheinung des Mannes zu passen schien. Oliver bot an, die Kiste zu tragen, aber Harry schüttelte den Kopf. »Du arbeitest für Titus?«
    »Er ist mein Onkel. Ja, ich arbeite wohl für ihn.«
    »Ah, na dann.« Harry hielt inne, um Oliver genauer anzusehen, als sie den Flugplatz verließen. »Der junge Master Brooks. Wahrscheinlich hätte ich dich erkennen sollen. Obwohl ich in dir als Mann wenig von dem Säugling wiedererkenne, den ich damals sah.«
    Das ließ Oliver zusammenzucken. »Du kanntest meine Eltern?«
    »Das tat ich, Oliver. Meine Profession führte dazu, dass sich meine Wege mit denen deines Vaters und deiner Mutter kreuzten. Du hast dich einmal beinahe auf mir übergeben, als du noch sehr klein warst. Erinnerst du dich an die beiden?«
    »Nein. Überhaupt nicht.« Oliver gelang es nicht, den Schmerz aus seiner Stimme zu verbannen. »Mein Onkel. Er redet nicht über sie.«
    »Es ist ebenso schwer, einen Bruder zu verlieren, wie einen Vater, alter Knabe«, sagte Harry leise. Als er bemerkte, wie sehr Oliver ihr Gespräch bewegte, blieb er stehen. »Lass uns lieber nicht weiter davon sprechen. Wir werden es jenen, die den Zirkel vorangeschritten sind, gestatten, in ihrem neuen Leben zu verweilen.«
    Oliver fragte sich, ob der Besucher seines Onkels wusste, dass er registriert war. Wahrscheinlich. Wenn er seine Eltern gekannt hatte, dann hatte er mit Sicherheit auch die Geschichten darüber gehört, was ihnen zugestoßen war. Und Oliver auch. Falls es Harry etwas ausmachte, dann Heß er sich das nicht anmerken.
    Inzwischen hatten sie die Stadt erreicht. Seventy Star Hall lag hinter dem eigentlichen Kern von Hundred Locks am Fuße der Hügel,
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