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Das Koenigreich der Luefte

Das Koenigreich der Luefte

Titel: Das Koenigreich der Luefte
Autoren: Stephen Hunt
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die sich zur Anhöhe von Toby Fall emporschwangen. Ein Hund, der vor dem Fischmarkt an einen Laternenpfahl gebunden worden war, kläffte laut. Inzwischen bummelten Hafenarbeiter von Shipman Town durch die Straßen, um eine abendliche Einkehr in den Gaststuben und Trinkhallen zu finden, und ihre schweren Stiefel mit den Stahlkappen schlugen auf das Kopfsteinpflaster.
    Der Gedanke an seine Eltern hatte Olivers Stimmung gedämpft. Sein Leben würde weiterhin folgendermaßen verlaufen: Man würde ihm keine ordentliche Beschäftigung oder Ausbildung gestatten. Einmal die Woche würde er sich in die Registratur des Bezirks eintragen. Die meisten Stadtbewohner würden ihm aus dem Weg gehen. Er würde kleine Aufgaben für seinen Onkel übernehmen, damit er etwas zu tun hatte und seinem Verwandten nicht dauernd im Weg stand. Sollte er die Gemeinde doch einmal verlassen, würde man ihn als Verfemten melden und jagen. Ihm würden die schlichten Freiheiten verwehrt bleiben, die selbst der Fuchs in seinem Bau oder die Schwalbe auf dem Ast für selbstverständlich hielten. Er war jemand, dem man möglicherweise Mitleid entgegenbrachte, auf den man, so wie sein Onkel, mit Hilfsbereitschaft reagierte, oder mit Abneigung – wie jene, die sich einst seine Freunde und Kameraden genannt hatten.
    Unter derart düsteren Überlegungen erreichten sie Seventy Star Hall. An der Tür begrüßte sie die Hauswirtschafterin, Damson Griggs. Sie bedachte Harry Stave mit einem langen Blick, betrachtete seinen abgewetzten Koffer und die billige Kleidung und rümpfte missbilligend die Nase, als wäre Oliver ein Kater, der ihr eine tote Maus für ihre Speisekammer brachte.
    Damson Griggs war eine grummelige alte Schachtel, und sie war inzwischen die einzige Vollzeitkraft, die im Haushalt von Seventy Star Hall noch verbheben war. Dabei war es schwer zu sagen, ob dieser Umstand auf die Aussicht auf eine Zusammenarbeit mit ihr zurückzuführen war oder aber auf die Vorstellung, unter einem Dach mit einem registrierten Jungen zu leben. Jedes andere Haus vergleichbarer Größe in Hundred Locks beschäftigte mindestens fünf oder sechs Dienstboten. Aber Titus Brooks war ein einsamer, ungeselliger Mensch, und vielleicht passte ihm diese Entwicklung daher gut. Damson Griggs betrachtete die abergläubische Angst der übrigen Städter vor Oliver als groben Unsinn. Sie kannte den Jungen seit Kindesbeinen, und wenn auch nur ein Quäntchen Irrnebel in ihm gewesen wäre, dann hatte er sich in den letzten elf Jahren in ihrer Gegenwart noch nie bemerkbar gemacht.
    Vielleicht wäre Oliver derselben Meinung gewesen, allerdings hatte er seinem Onkel oder der Haushälterin auch noch nie von seinen kalten, dunklen Träumen erzählt.
    »Welcher grausame Wind hat denn Sie an unsere Schwelle geweht, Harold Stave?«, fragte die Damson.
    »Harry für Sie, Damson Griggs«, sagte der Besucher.
    »Nun, dann schließe ich das Schränkchen mit dem Brandy unseres Herrn wohl am besten ab, wenn Sie eine Weile bei uns bleiben wollen. Es sei denn, Sie hätten sich davon verabschiedet, saufend und lüstern kreuz und quer durch Jackals zu ziehen – und durch eine Reihe anderer Länder, nehme ich an.«
    »Jetzt wüsste ich doch gern, wer mich bei Ihnen derart in Verruf gebracht hat?« Harry kratzte sich den blonden Schopf. »Die letzten zwei Wochen ist kein Tropfen des guten alten Umfallwassers über meine Lippen gekommen, Damson Griggs.«
    »Ihr Verhalten war so rüde, dass nicht einmal die Marine Sie behalten wollte.« Damson Griggs wackelte mit einem würstchendicken Finger in Staves Richtung. »Und mit solchen Manieren werden Sie sich auch unter diesem Dach nicht beliebter machen.«
    Trotz ihrer Ermahnungen öffnete sie die Tür noch weiter, um Harry eintreten zu lassen, nahm ihm den dünnen Sommerreisemantel ab und hängte ihn auf einen der Haken im Flur, die wie ein Rinderhorn geformt waren. Durch seine Breite und die weißen Fliesen war der Korridor auch um diese Zeit noch von hellem Licht erfüllt. Am späten Nachmittag verbarg sich die Sonne hinter der Anhöhe von Toby Fall, und die Nordseite von Hundred Locks machte ihrem Namen Shadowside dann alle Ehre, wenn nämlich der Schatten des hohen Deiches auf das große Haus fiel. Dann begann die Damson geschäftig herumzuwuseln und die Öllampen anzuzünden, gefüllt mit dem fetten Blut der riesigen Schlitzhaie, die man in der Tintensee mit Netzen fing und dann in Shipman Town ausweidete.
    »Haben Sie recht vielen Dank, Damson«,
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