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Das Koenigreich der Luefte

Das Koenigreich der Luefte

Titel: Das Koenigreich der Luefte
Autoren: Stephen Hunt
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zu faul, behäbig und dumm dazu war.
    Und statt eine glorreiche Schlacht zu schlagen, war der hübsche Aerostat Affray wahrscheinlich rein zufällig auf die Piratenflotte gestoßen, die ihrerseits gerade unschuldige Seeleute an die Fische verfütterte, war dann einfach über Darks Unterseeboot in Position geblieben und hatte Feuerflossen gegen seine Masten und Decks schweben lassen, um die brennenden Piraten der Gnade der See oder den Schlitzhaien zu überlassen. Tage später war dann zufällig ein Schreiberling vom Dock Yard in einer Kneipe auf ein betrunkenes Besatzungsmitglied des Aerostats gestoßen und hatte mittels eines Fässchens Teerschnaps eine wild ausgeschmückte Geschichte ruhmreicher Taten und ehrlicher Zweikämpfe aus dem Mann herausgekitzelt. Und schließlich hatte der Schreiberling das Garn für seine Redakteure bei den Schmierenblättchen und Dock-Street-Verlagen wie Torley Smith noch weiter ausgeschmückt.
    »Weiß der Büttel schon Bescheid?«, fragte Molly, die sich nun wieder den Sorgen der Gegenwart zuwandte.
    »Als ob das zu vermeiden gewesen wäre«, erwiderte Rachael. »Allerdings nicht von mir – ich bin keine Petze. Das hier ist schon die vierte Stelle, aus der man dich rausgejagt hat, und das in nur vier Monaten. Es war klar, dass er das irgendwie rausfinden würde.«
    Molly zupfte nervös an ihrem roten Haar. »War der Büttel sauer?«
    »Ja, so könnte man es auch beschreiben.«
    »Na gut, aber was kann er schon machen?«, fragte Molly.
    »Du bist eine Närrin, Molly Templar«, sagte ihre Begleiterin, die den Widerspruchsgeist in Mollys Augen aufblitzen sah. »Was haben sie denn noch nicht mit dir gemacht? Dich den Riemen schmecken lassen? Dich geprügelt, bis du mehr Zeit mit dem Stock auf dem Rücken verbracht hast als ohne? Gekürzte Rationen? Aber du forderst ja immer mehr noch heraus.«
    »Ich werde schon bald ganz draußen sein.«
    »Noch hast du ein Jahr vor dir, bevor deine Mündelbriefe ablaufen und du wählen darfst«, sagte Rachael. »Das ist eine lange Zeit, um den Büttel gegen dich zu haben.«
    »Ein Jahr noch, und dann bin ich hier raus.«
    »Und wohin geht es dann?«, fragte Rachael. »Glaubst du, ein Waisenbalg wie du oder ich werden es je bis in die höheren Kreise schaffen? Wo man uns mit Wachtelpasteten und feinstem Klarettwein verwöhnt? Es wird dir nicht so bald gelingen, dir deinen Lebensunterhalt zu verdienen, und dann ziehst du mit der Rotte durch die Straßen, klaust Brieftaschen, bis dich irgendwann die Presser schnappen, und schon landet unsere kleine Damson Molly Templar in einem Deportationsfrachter und ist unterwegs zu den concorzianischen Kolonien.«
    »Da hinten will ich aber auch nicht enden.« Molly wies mit dem Daumen in die Richtung der Wäscherei in der Handsome Lane.
    »Niemand will dort enden, kleine Molly. Aber wenn du dadurch etwas zu essen in den Bauch und ein Dach über den Kopf bekommst, dann ist das besser, als zu verhungern.«
    »Na, entweder verhungere ich also langsam im Armenhaus oder aber schnell draußen in der Welt«, sagte Molly. »Wenn doch nur …«
    Rachael nahm Mollys Hand. »Ich weiß. Ich vermisse die Damson auch. Und wenn Wünsche Schillinge wären, dann würden wir alle wie Prinzessinnen leben.«
    Für die Waisenkinder gab es nur eine Damson. Vor dem Büttel hatte Damson Darnay das Armenhaus von Sun Gate geleitet; ihr Herzinfarkt lag nun vier Jahre zurück. Sie war eine Reformerin gewesen, die darauf beharrt hatte, dass der gut betuchte Bezirk Middlesteel sich ein Modell-Armenhaus auf seiner Schwelle leisten konnte. Ein Haus, in dem man den Kindern Lesen und Schreiben beibrachte, und in dem die geisttötende Schufterei des Armenhauses durch Bildung und eine gute, zirklistische Erziehung ersetzt wurde.
    Es war ein Vikar der zirklistischen Kirche, der den in ein Leichentuch gehüllten Körper der Damson eines kalten Morgens auf einem Wagen weggefahren hatte, und dann war der Büttel an ihre Stelle getreten. Er arbeitete in die Taschen der örtlichen Kaufleute, und die Unterbringungskosten der Kinder mussten nun dadurch bestritten werden, dass man sie an Betriebe auslieh, um die dankbaren Waisen auf das Erwachsenenleben vorzubereiten.
    Seltsamerweise wurden die Kinder dabei nie hinter einen warmen Schreibtisch der schicken neuen Druckluftgebäude an der Gate Street vermittelt oder als ausgebildete Schreiber in die Sun Lane. Als Kanalauskratzer, das schon. Oder in Wäschereien, wo einem irgendwann die Nägel ausfielen, weil man
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