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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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des Vergessens. Es zeichnet uns Menschen aus, dass wir von unserem eigenen Dasein viel Aufhebens machen, als wäre es von Bedeutung, dabei aber die wahrhaft großen Dinge ›vergessen‹: die Menschheit und das Universum. Einmal glaubte ich, das Leben wäre das, was sich bewegt, der Tod demnach der Stillstand. Aber ist das wirklich so? Manchmal glaube ich, in Wahrheit ist es genau andersherum: Die, die um weniges bitten, bekommen so gut wie alles, und die, die sich um gar nichts sorgen, erlangen Freiheit, und das ist das Äußerste, was man erreichen kann. Hätte ich doch nur die Standfestigkeit, nichts zu wollen! Aber was will ich aus diesem lächerlichen Treiben und Getue, das ich mein Leben nenne, herausholen? Aus diesen lauten Atemzügen vor dem großen Schweigen? Ich weiß es nicht!! Du erinnerst dich noch, einmal waren es Träume von Abenteuern. O Kinderzeit! Kindliche Träume waren es, oder sollte ich mich selbst verraten haben, indem ich ihnen nicht folgte? Unbedingt aber wollte ich den Namen meiner Eltern und meines Bruders hier im Norden wieder aufrichten. Ich spürte, dass mir das Ansehen meiner Mutter nach ihrem Tod ungeheuer wichtig war. Ich versuchte, so zu sein, wie sie mich haben wollte. Ich ackerte wie ein Ochse, damit die sogenannte öffentliche Meinung dieser toten Frau wieder wohl gesonnen sei und meine Verwandtschaft mütterlicherseits ihre Kaltherzigkeit bereute. Was für eine Eitelkeit! Dummheit! Öffentliche Meinung, um Gottes willen, was für ein schreckliches Wort! Lieber Freund, es wird dunkel über mir in Akureyri, die Sonne sinkt vom Himmel, und Abenddunkel strömt mir in die Brust. Ich bin klein und schwach, voll leerer Eitelkeit. Und daher – anstatt mich mit allem abzufinden und herzhaft zu lachen – bitte ich dich, mir zu helfen. Ich bettle um Geld, ach, es ist so entwürdigend. Du weißt, dass ich es dir zurückzahlen werde. Ich hatte für eine Weile ein Dachzimmer in der Vesturgata, du erinnerst dich. Da habe ich noch eine Kiste Bücher, ein Bett und einiges andere. Könntest du meine Außenstände bei diesen Leuten begleichen, damit ich ihnen nicht mit gesenktem Kopf gegenübertreten muss, wenn ich wieder in die Stadt komme, als armer, ruinierter, gescheiterter Mensch?«
    Gescheitert, aber – wie immer – schnell dabei, wieder auf die Beine zu kommen. Ein paar Monate gehen ins Land, und schon spaziert Urgroßvater wieder über die ungepflasterten Straßen der Hauptstadt, sieht gut aus mit Stock und Mantel, ist gepflegt, stets frisch rasiert, und die grauen Augen blitzen voller Energie und Tatkraft. Die Spekulationsgeschäfte mit Immobilien blühen, und binnen Jahresfrist hat er seinem Freund die Hälfte der Schulden zurückgezahlt. Gisli meint allerdings, ihm komme es nicht weiter auf das Geld an, Urgroßvater solle lieber damit arbeiten, etwas für wohltätige Zwecke anlegen, sich vorbildlich zeigen, dann werde er ein gern gesehener Gast bei den besseren Familien. Doch Gisli predigt tauben Ohren. Urgroßvater, der solche Vorhaltungen von seiner Mutter kennt, verspricht leichthin, sich zu bessern, oder lächelt nur und wechselt das Thema.
    Manchmal sitzen sie in Gislis Bibliothek und genehmigen sich einen Whisky, doch nach zwei, drei Stunden fängt der Kaufmann an zu gähnen und möchte schlafen gehen. Für Urgroßvater aber wird es mit jedem Jahr schwerer, es genug sein zu lassen. Ein harmloser Whisky oder ein paar Bier enden nicht selten in einem schweren Besäufnis, das bis zum frühen Morgen währt. Manchmal geht es nach einem kurzen Schlaf sogar gleich wieder weiter. Es kommt vor, dass Urgroßvater in einem ihm unbekannten Haus zu sich kommt und sich nicht erinnern kann, wie er dorthin gekommen ist. Dann kann er sich an gar nichts erinnern, hat nicht die leiseste Ahnung, und eines Morgens erwacht er auf einem weit abgelegenen Hof auf dem Lande.
    Als Urgroßvater darum bittet, nach Reykjavik gebracht zu werden – das einen guten Tagesritt entfernt liegt -, zeigt ihm der Bauer ein Dokument, mit Urgroßvaters gestochener Handschrift geschrieben, in dem zu lesen ist, dass er sich bei dem Bauern für ein Jahr als Knecht verdingt habe. Ohne Lohn, bis auf »die Nähe der blauen Berge, jede Menge anständiger, schwerer Arbeit und die Gemeinschaft mit dem Himmel«. Der Bauer, ein schweigsamer, sturer Baum von einem Kerl, dem das geschriebene Wort heilig ist, bedroht Urgroßvater mit einem alten Lumpen von Arbeitsanzug. Es kostet Uropa drei Wochen, ehe er von dem Hof entkommen
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