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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Wohnzimmer. Es ist Freitag; er ist außergewöhnlich früh von der Arbeit nach Hause gekommen, hat sich ein Bad einlaufen lassen und bessere Kleidung zurechtgelegt. Die Frau aber hat den Stöpsel aus der Wanne gezogen und die Sachen in den Schrank zurückgehängt. Deshalb hat Papa noch immer getrockneten Beton auf dem Handrücken, Zementstaub in den Haaren und auf den Kleidern. Er sitzt auf dem roten Sofa, steht auf, setzt sich wieder hin und steht noch einmal auf und hat keine Ahnung, was er mit diesen Händen tun soll – sieht sie an, als hätte er noch nie welche besessen. Er versucht, sie auf dem Sofa abzulegen, doch als er aufsteht, stehen sie mit ihm auf. Papi, das war sicher nicht leicht für dich, eines Morgens mit dieser Frau an deiner Seite aufzuwachen, die von äußerst seltsamen Wesen abstammt, von einem Vater, der Stahlsaiten anstatt Stimmbänder hat, und ihre Mutter hat sicher nur ein Auge. Es ist riesengroß und sitzt in der Mitte der Stirn.
    Völlig fasziniert beobachte ich, wie der Fels um den Parkplatz kreist, als suche er etwas. Da murmelt die Frau: »Du meine Güte, ist der staubig«, und da verwandelt sich der Fels augenblicklich in einen alten Geländewagen, der unter dem Fenster einparkt, zwei Türen öffnen sich, jemand klettert heraus, und dann stehen sechs menschenähnliche Wesen unter dem Küchenfenster. Sie sind mindestens so seltsam wie einige der Ausdrücke, mit denen uns der alte Mann aus der dritten Etage in seinem Zorn überschüttet.

Wörter sind gefährlich: Sie können explodieren
    Drei Schwestern sind aus dem Jeep geklettert. Jetzt sitzen sie bei uns auf dem Sofa. Das Sofa ist keineswegs damit einverstanden, es ist mühsam, die Schwestern zu tragen, jede von ihnen ist sicher doppelt so schwer wie die Frau bei uns. Dabei sind sie nicht wirklich dick, nur kräftig untersetzt und pummelig, erinnern ein wenig an Seehunde, aber das werde ich erst später herausfinden, beträchtlich viel später. Ihr Vater, Stahlsaite, ist von ähnlichem Wuchs, nur kantiger und sehr viel härter, mit Sicherheit prallen alle Winde an ihm ab und brechen in tausend Teile. Er hat keinen Stock und sitzt in einem der roten Sessel, der sich bald aus dem Fenster stürzen will. Die Mutter auf dem anderen. Sie ist so dünn, dass ich es gar nicht fassen kann. Ihr Gesicht läuft spitz zu und endet in einem Strich, der wie der Bugspriet an einem Schiff aussieht. Der Sohn ähnelt seiner Mutter, hat aber auch etwas von der Härte des Vaters. Er sitzt auf einem der Esstischstühle, den die Frau zwischen Sofatisch und Fenster gestellt hat; das Gegenlicht macht ihn zu einem dunklen Strich. Wir drei sitzen auf ähnlichen Stühlen auf der anderen Seite des Tisches, und zum ersten Mal denke ich das: Wir drei. Es tut weh wie ein Messerstich.
    Ich schlenkere mit den Füßen, Papa reibt sich die Hände, die Frau sitzt kerzengerade und mit verschränkten Armen da. Niemand hat ein Wort gesagt, seit Vater verkündet hat: »Willkommen! Nehmt Platz, der Kaffee kommt gleich.«
    Die Wände biegen sich unter diesem Schweigen. Die Frau steht auf und verschwindet in der Küche. Ich schlenkere noch heftiger mit den Füßen, der Mann wirft mir einen Blick zu, und im nächsten Augenblick sind meine Beine hingerichtet, sie baumeln leblos in der Luft. Ich schlucke. Sein Gesicht ist wie von einer Regenwolke bezogen und hart wie Stein, trotzdem erschrecken mich seine Augen am meisten. Das eine ist eine Gewehrkugel, das andere eiskalt und schrecklich tot. Es starrt mich an. Dann wandert sein Blick zu Papa hinüber; auch die anderen mustern ihn unverhohlen. Zwölf Augen durchbohren meinen Vater. Seine rechte Hand öffnet und schließt sich, sie träumt von der Maurerkelle. Papa bewegt den Mund. Seine Zunge ist wie ein Kran, der große Gesteinsbrocken aus dem Hals heraufholt, dann wälzt er sie nach vorn auf die Lippen, und mit dumpfem Poltern fallen sie zu Boden: »Wie
    war
    der
    Weg
    ?«
    Der Kerl: »Weit.«
    Papa: »Wie? Ach so, weit. Ja, natürlich, es ist ein verdammt weiter Weg.«
    Papa: »Und in welchem Zustand waren die Straßen?«
    Der Kerl: »Zuerst furchtbar. Dann ging’s so.«
    Papa: »Am besten fragt man gar nicht nach dem Zustand der Straßen. Sie machen doch nur die Autos kaputt … Wie war denn der Sommer bisher?«
    Der Kerl: »Der Frühling kam erst spät.«
    Papa, eifrig: »Ihr fangt doch Seehase und Robben, oder?« Schweigen.
    Papa, flehentlich: »Wirft es denn genug ab?«
    Der Kerl: »In manchen Jahren.«
    Papa befeuchtet
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