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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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sich die Lippen. Er zwinkert mit den Augen. Die furchteinflößenden Augen von Stahlsaite dagegen fixieren mich, ich blicke zu Boden, und zu meiner Überraschung sind meine Beine wieder zum Leben erwacht. Sie baumeln mit Höchstgeschwindigkeit. Ich muss Kraft aufwenden, um sie zu bremsen. Ich schaue auf und begegne wieder diesen Augen. Aus einem von ihnen blickt der Tod selbst. Ich gucke zurück auf meine Füße, sie sind schon wieder gestorben, haben keine Verbindung mehr zu mir. Am besten, ich werfe sie auf den Müll. Doch da fühle ich ein stärker werdendes Jucken im Hals. Kurz darauf liegt mir ein langes und gewaltiges Wort auf der Zunge. Ich versuche es hinunterzuschlucken, doch es rutscht quer und bleibt mir im Hals stecken. Mit aller Kraft presse ich die Lippen zusammen. Das Wort beginnt mir im Mund herumzuwirbeln und gerät in rasende Fahrt. Es dreht und dreht sich wie der Rotor eines Hubschraubers und droht mir von innen die Zähne einzuschlagen. Ich sehe auf, begegne dem Blick von Stahlsaite. Vorsichtig öffne ich den Mund ein wenig, doch schon springt mir das Wort heraus wie ein Tiger aus dem Käfig oder wie ein wütender Pirat. Auf dem Weg zu Stahlsaite wird es zu einem Schrei: STINKSTIEFEL!
    Vater springt auf, als hätte ich ihm in den Allerwertesten getreten. Er wächst zu einem Ausrufezeichen mit Armen, die mich packen, in die Höhe reißen und schneller, als sich sagen lässt, in mein Zimmer verfrachten und dort einsperren. Ich brülle vor Wut. In einer Schüssel in der Küche stehen gefüllte Kekse von Fron. Jetzt dürfen sich andere Münder als meiner daran gütlich tun.

Die Nacht
    In der Nacht weckt mich etwas auf. Ich klettere leise und vorsichtig aus dem Bett, ziehe die Gardinen auf, und das Zwielicht der Sommernacht dringt herein. Leises Knacken und Krachen hinter mir, als sich Dämonen und Gespenster voneinander lösen. Die Spielzeugsoldaten erheben sich, ganz benommen von der Helligkeit. Vorsichtig öffne ich die Zimmertür. Ich lausche, höre aber nichts. Keine Schlafgeräusche. Ich schleiche den Flur entlang, ein Auge fährt rasch ins Wohnzimmer und kommt schnell zurück. Auf dem Fußboden liegen Matratzen, Bettzeug auf dem Sofa, aber niemand schläft. Der Sohn steht am Fenster, seine Schwestern sitzen noch auf dem Sofa, die Eltern auf den Sesseln. Alle starren vor sich hin, niemand zwinkert auch nur mit den Augenlidern. Ich schleiche zurück in mein Zimmer, schließe die Tür, traue mich aber nicht, die Vorhänge wieder vorzuziehen. Ein Auto fährt die Miklabraut hinunter. Die englischen Soldaten und die Partisanen flüstern gleichermaßen beruhigend auf mich ein. Ein Auto kommt die Miklabraut herauf. Ich lege mich ins Bett. Ich warte auf den Schlaf. Ein Auto fährt die Miklabraut hinunter. Das Zimmer ist voll starrender Augen.

Erledigt?
    Am Tag darauf rollt ein alter Jeep davon und nimmt sechs Rätsel mit sich. Sie kamen und sie fahren wieder und lassen eine Bezeichnung für die Frau zurück, die eines Morgens aus dem Schlafzimmer meines Vaters kam. Es ist ein dunkler Zaubername, der aus den tiefen Höhlen der Märchen aufsteigt. Der Name lautet: Stiefmutter. Die einzige Stiefmutter im Block und wahrscheinlich in der ganzen Straße.
    Stiefmutter.
    Das schlägt sämtliche Namen, die uns der Zorn des alten Mannes und sein Stock verliehen haben. Stiefmutter, das ist viel mehr als ein Wort, es ist ein Körper: Arme, Beine, Augen, Nase. Skuli stibitzt seinem Vater etwas Geld aus der Jackentasche, die Töchter von Söbekk fauchen und knurren in der Luke des Kiosks, ich stopfe mir zweimal den Mund voll, erst mit Mandeln, dann mit Bonbons. Die Jungen sehen mir geduldig zu. Sie verfolgen, wie sich meine Zähne knackend und krachend durch die Süßigkeiten mahlen.
    »Wahnsinn, Mann!«, sagen sie, während ich schlucke. »Eine Stiefmutter! Du bist erledigt. Sie wird dich fressen, sie setzt dich im Wald aus, sie verkauft dich, sie misshandelt dich, du bist total erledigt.«
    »Ja«, stimme ich zu, »ich bin total erledigt.«

5
    Urgroßvater geht auf die vierzig zu und wirbelt den Stock mit dem Silberknauf. Vierzig ist doch kein Alter, und manchmal wirkt er sogar zehn Jahre jünger, besonders wenn er den Hut abnimmt und sein schwarzes, widerspenstiges Haar in die Stirn fallen lässt. Dann wird er richtig jungenhaft, sein Gesicht wirkt spöttisch und sensibel zugleich. Manche meinen, er werde kein bisschen älter. »Das macht die Unbekümmertheit«, sagt er. »Wer nichts besitzt und doch Geld in den
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