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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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weiter, doch da erinnere ich mich, dass Stahlsaite aus großer Entfernung anzurufen scheint, womöglich liegt der ganze Atlantik zwischen uns. Es wird also nicht reichen, einfach zu sagen: Sie ist nur eben bei Söbekk was einkaufen oder sie ist da und da. Nein, das muss ich ausführlicher angehen, eine Art Lageplan der Umgebung entwerfen. Ich lasse mich also auf dem Stuhl am Telefon nieder und atme tief durch. Ich hatte mir schon zurechtgelegt, mit dem Parkplatz vor dem Block zu beginnen, dem großen Fußballplatz oberhalb der Garagen, dem Wartehäuschen an der Bushaltestelle und so weiter, aber dann lasse ich es und beschreibe bloß, wie die Frau, die die Stimme einfach bei einem Namen nennt, als wäre nichts selbstverständlicher, ihren braunen Mantel übergezogen, den traurig leeren Einkaufsbeutel genommen und das Haus verlassen hat. Dann beschreibe ich den Weg und Söbekk, hebe besonders hervor, dass sein Nacken an ein Wolkenpolster erinnert, weil ich auf dieses Wort ungeheuer stolz bin: Wolkenpolster, und ich betone es sehr nachdrücklich. Ich erkläre auch, dass man erst gar nicht zu versuchen braucht, in Söbekks Kiosk etwas zu klauen. Denn selbst wenn er in seinem Büro hinter einer Wand sitzt, die von hohen Stapeln Klosettpapier verdeckt wird, bekommt er jede Bewegung in seinem Laden mit. Weiter berichte ich von Vogue und der Schere und gehe dann zu dem Mann im Fischgeschäft über, der manchmal böse ist wie ein Chinakracher am Silvesterabend. Da kommt es mir allerdings allmählich so vor, als würde mich ein Schweigen im Hörer unterbrechen. Ich lausche und kann in der Ferne schwere Atemzüge unterscheiden, wie ein Unwetter, das sich hinter dem Horizont zusammenbraut. Ich lege den Hörer weg, setze mich aufs Sofa und warte. Eine ganze Weile vergeht, dann öffnet sich die Tür, die Frau tritt ein, ein Kleiderbügel im Schrank bekommt den Mantel umgehängt und der Einkaufsbeutel wandert in die Küche. Kaum etwas ist so erfreulich wie ein voller Beutel, ein leerer hat dagegen etwas Trostloses an sich. Die Frau geht mit ein paar Rollen Toilettenpapier ins Bad.
    Die Toiletten haben die größten Mäuler in ganz Island. Sie umfassen jeden Hintern, egal wie groß er ist. Toiletten haben aber nicht nur große Münder, sie sind so lang, dass ihr eigener Hintern weit entfernt im Meer mündet. Im Meer leben Fische. Macht bestimmt Spaß, Fisch zu sein. Man muss sich nur vor den Netzen, vor ertrunkenen Menschen und dem, was die Toiletten von sich geben, in Acht nehmen. Schiffe fahren auf dem Meer, und irgendwo sind Karius und Baktus auf ihrem Floß unterwegs. »Grüß Karius und Baktus«, sage ich manchmal zu einem Haufen, ehe ich abziehe.
    Als die Frau aus dem Badezimmer kommt, sieht sie den Hörer wie eine tastende Hand neben dem Telefonapparat. Sie nimmt ihn auf, horcht, haucht versuchsweise ein fragendes »Ja?« hinein und kurz darauf: »Papa!« Ein Wort, das ihr ebenso wenig passt wie ein Fußballtrikot.
    Dann: »Ja.«
    »Der Junge. Ja.«
    »Gut.«
    »Bless.«
    Beim Abendessen – es gibt etwas, das sie Trockenfisch nennt, mich aber mehr an meine Turnschuhe erinnert – erklärt sie, dass in vier Tagen ihre »Leute« kämen. Ich bin total baff, dass sie ohne Anzeichen von Erschöpfung so viele Wörter auf einmal sprechen kann, Papa aber sagt: »Wie bitte? Wer?«
    Die Frau: »Meine Eltern und meine Geschwister.«
    Ich bin so geplättet, dass ich den getrockneten Fisch esse, ohne weiter darauf zu achten. Sehr erstaunlich, dass diese Frau so etwas wie Eltern und Geschwister haben soll. Ich bin begeistert. Ich bin entsetzt. Papa legt die Gabel weg. Er ist totenbleich. Wahrscheinlich gefällt es ihm nicht, dass die, die sie Eltern und Geschwister nennt, auch noch in seinem Bett schlafen sollen. Das wird eng, wahrscheinlich kann er sich nicht einmal mehr umdrehen. Ich stelle mir vor: Wow! In vier Tagen kommen sie alle nacheinander aus Papas Zimmer, sie und ihre Leute. Ich gehe ins Bad und sage: »Du bekommst bald genug zu tun.«

Der Stock des alten Mannes
    Die Soldaten fürchten den Besuch. Stahlsaite gefällt ihnen gar nicht, sie möchten am liebsten, dass ich sie unter dem Bett verstecke oder in einer Schublade. Tage vergehen, der Besuch rückt näher, und jeden Morgen wache ich von dem schwachen Geräusch auf, mit dem die Spielzeugsoldaten schlucken.
    »Ihr braucht keine Angst zu haben«, murmele ich noch im Halbschlaf und höre, wie die Frau in die Küche geht und Hafergrütze aufsetzt.
    Es geht kein Weg daran
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