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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken
Autoren: Berte Bratt
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eine Brücke, und zu beiden Seiten blinkte es im dunklen Wasser auf.
    „Wie schön ist es hier“, flüsterte Ingrid.
    „Ja, nicht wahr? Warte nur, bis du Kopenhagen bei Tage siehst. Darauf kannst du dich erst freuen!“
    Und siehe da: eine große, erwartungsvolle Freude stieg in Ingrid auf. Fräulein Skovsgaard hatte es ein spannendes Abenteuer genannt. Ja, sie hatte recht. Das war es wirklich, oder vielmehr ein richtiges Märchen. Sie hatte nur nicht gesagt, daß sie selbst in diesem Märchen die gute Fee war. Ingrid fühlte plötzlich den brennenden Wunsch, für Fräulein Skovsgaard etwas zu tun, etwas Richtiges für sie zu tun, ihr zu zeigen, wie dankbar sie war.
    Das Auto hielt vor einem hohen, altmodischen Haus. Fräulein Skovsgaard suchte einen Schlüssel hervor und schloß die Haustürauf. Als sie im Treppenflur standen, öffnete sich eine Tür. Eine behäbige rundliche Frau kam heraus, hinter ihr drängelte sich etwas Kleines, Schwarzes, Lockiges vor. Und dieses kleine lockige Etwas stürzte mit lautem Klaffen auf Fräulein Skovsgaard los.
    Ingrid verstand nicht ein Sterbenswörtchen von dem, was gesprochen wurde. Aber sie vermutete, daß dies die Portierfrau sei, die den Pudel Dixi zu sich genommen hatte, so lange sein Frauchen verreist war.
    Fräulein Skovsgaard sagte ein paar Worte zu Dixi. Der beschnupperte Ingrid sogleich eifrig. Sie streichelte ihn, kraulte ihn hinterm Ohr, redete in ihrer eigenen Sprache mit ihm. Und mit dem unerschütterlichen Instinkt des Tiers wußte Dixi, daß er eine Freundesseele vor sich hatte. Er leckte Ingrid unbekümmert das Gesicht und bohrte seine Schnauze in ihre Hand. Dann lief er vor ihnen her.
    „Jetzt mach dich auf eine Kletterpartie gefaßt“, lachte Fräulein Skovsgaard. „Ich wohne halbwegs im Himmel.“
    Ganz oben kamen sie an eine Tür mit dem Schild „Ingrid Skovsgaard“.
    Gleich darauf standen sie in einem großen, weiten Raum mit einem riesigen Dachfenster.
    „Du wirst dich jetzt wundern“, lachte Ingrid Skovsgaard. „Ich habe tatsächlich nur diesen einen Raum. In der Ecke da ist die Garderobe. Hier hast du einen Kleiderbügel. Hinter dem Schirm dort steht mein Bett. In der Ecke ganz drüben wird gekocht. Diese Tür führt ins Badezimmer. Und das ist alles!“
    Sie machte sich im Zimmer zu schaffen, zog die Vorhänge vors Fenster, trug die Koffer hinter den Wandschirm und ging in die Kochecke hinüber.
    „Die gute Frau Petersen, sie hat mir alles mögliche eingeholt – jetzt machen wir uns erst mal einen ordentlichen Tee, Ingrid! Was meinst du?“
    Sie holte Wasser, während sie plauderte und erklärte.
    „Du willst dich doch sicher gern waschen, nicht wahr? Hier ist einHandtuch. Seife findest du da drin. Und wenn du deinen Koffer auspacken willst, kannst du das hier machen. So, tu, als wärst du hier zu Hause.“
    Zum erstenmal in ihrem Leben durfte sich Ingrid in einem schneeweiß gekachelten Badezimmer waschen und zurechtmachen. Als sie sich kämmen wollte, hielt sie einen Augenblick inne und betrachtete ihr eigenes Spiegelbild. Es ging ihr erst jetzt richtig auf, daß sie es war, Ingrid Erika Schramm, die in ein fremdes Land gekommen war und in einem fremden Badezimmer in einer fremden Wohnung stand, bei einer fremden – nein, halt: Fräulein Skovsgaard war nicht fremd. Ihr war, als hätte sie Fräulein Skovsgaard schon von jeher gekannt.
    Sauber gewaschen und mit frisch gekämmtem Haar kam sie aus der Badestube. Fräulein Skovsgaard war gerade dabei, einen niedrigen runden kleinen Tisch zu decken, der vor der Couch stand.
    „Kann ich Ihnen nichts helfen, Fräulein Skovsgaard?“
    „O gewiß doch! Gleich. Aber erst mal mußt du es dir abgewöhnen, mich Fräulein Skovsgaard zu nennen. Du darfst gern du und Inge zu mir sagen – ja, meine Freunde nennen mich Inge, und es ist in diesem Falle ganz praktisch, weil wir beide Ingrid heißen.“
    „Aber – ich kann doch nicht…“
    „Doch, genau das kannst du. Ich weiß wohl, ihr Deutschen seid da ein bißchen steifer – oder meinetwegen höflicher – , aber ich liebe es nicht, Menschen, die ich gern mag, mit Sie anzureden. Geht es dir nicht auch so? Und du magst mich doch vielleicht ganz gern?“ Ingrid sah sie mit leuchtenden Augen an: „Und ob! Und ob!“
    „Siehst du, das dachte ich mir nämlich. Schau her, nimm diese Schüssel und tu etwas Wasser hinein – dann hole mir aus der obersten Schublade drüben zwei Löffel und zwei Messer.“
    Schließlich saßen sie am Teetisch. Dixi
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