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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken
Autoren: Berte Bratt
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Mund zu einem kläglichen kleinen Lächeln. „Sie sind so lieb…“
    Fräulein Skovsgaard lachte. „Natürlich bin ich das! Kannst du mir einen einzigen Grund angeben, warum ich das nicht sein sollte?“
    Ingrid sah sie mit großen Augen an. Später mußte sie noch oft an diese Antwort denken. Die sagte eigentlich alles über Ingrid Skovsgaard aus. Sie war immer fröhlich und guter Laune. „Warum sollte ich es denn nicht sein?“ war ihr ständiger Kehrreim. Sie half, wo sie konnte. „Warum sollte ich denn nicht helfen?“ So einfach ließ sich das machen.
    Ingrids Herz schlug warm für die neue, große Freundin.
    Die zehn Minuten waren vorbei; sogar schon eine Viertelstunde. Die Tante ließ sich nicht blicken.
    „So“, sagte Ingrid Skovsgaard, „jetzt müssen wir etwas unternehmen. Zuerst läuten wir Frau Jespersen an.“
    Ingrid trippelte hinter Fräulein Skovsgaard her zu einer Telefonzelle. Während ihre Beschützerin telefonierte, sah Ingrid sich in der riesigen Bahnhofshalle um. Nein, daß ein Bahnhof so gewaltig sein konnte! Es gab hier Läden – kleine Läden mit Glaswänden drum herum – in denen Blumen, Obst, Tabak, Bücher und alle möglichen Reiseandenken feilgeboten wurden. Da gab es Läden mit Süßigkeiten, da gab es ein Postamt und einen Friseursalon. Ingrid las die Schilder und stellte fest, daß sie fast alles verstand. Daß Tobak dasselbe war wie Tabak, Chokolade wie Schokolade, Frisör wie Friseur,das war sonnenklar. Und Frugt – das mußte Frucht bedeuten – natürlich! Sieh mal einer an, Dänisch war doch gar nicht so schwierig.
    Ingrid sah wieder zu Fräulein Skovsgaard, die hinter der Glastür der Telefonzelle stand und wartete. Das gute, nette Fräulein Skovsgaard! Sie würde eine kleine hilflose Ausländerin nicht im Stich lassen.
    Aber immer wieder kamen Ingrid die Worte ins Gedächtnis, die Frau Kistenmacher und auch Onkel Peter zu ihr gesagt hatten: „Laß dich niemals mit Fremden ein, Ingrid, vergiß das nicht! Und vergiß nicht, daß gerade die größten Schurken das angenehmste Wesen haben und immer am freundlichsten und hilfsbereitesten sind!“
    Aber Ingrid Skovsgaard konnte doch kein böser Mensch sein! Es war undenkbar!
    Und dennoch: warum – warum in aller Welt nahm sie sich eines fremden Mädchens in dieser Weise an?
    Wieder fühlte Ingrid ihre Hilflosigkeit. Wie sollte sie nur herausbekommen, ob Fräulein Skovsgaard wirklich…
    Die Tür der Telefonzelle ging auf. „Nein, Ingrid, es hat keinen Zweck. Ich bekomme keine Antwort, es ist niemand zu Haus. Du mußt erst mal mit zu mir kommen, dann werden wir…“ Sie unterbrach sich, ihre Augen ruhten forschend auf dem Mädchen. Dann lächelte sie. Sie hatte verstanden.
    „Selbstverständlich müssen wir die Sache hier erst melden, nicht wahr? Wir werden doch nichts Ungesetzliches tun!“ Sie streichelte Ingrids Wange. „Du hast sicher zu Haus gehört, daß du nie mit fremden Leuten gehen darfst, nicht wahr?“
    Ingrid nickte. Sie brachte nicht ein Wort hervor. „Das ist auch ganz richtig, Ingrid. Du weißt nichts von mir. Aber jetzt paß mal auf! Siehst du die Tür da drüben, auf der Inspektor steht? Das heißt ganz einfach Inspektor auf deutsch, nicht wahr? Zu dem gehen wir jetzt. Er versteht bestimmt Deutsch, und du hörst, was wir reden. Ich zeige ihm meinen Paß und gebe unsere Namen und meine Adresse auf. Wenn er den Fall gleich der Polizei meldenwill, um so besser! Wenn nicht, tue ich es selbst. Und wenn wir das alles getan haben, dann brauchst du doch keine Sorge mehr zu haben, nicht wahr?“
    Ingrid nickte wieder. Eine heiße Röte stieg ihr in die Wangen. Daß sie der guten und umsichtigen Freundin hatte mißtrauen können!
    Sie gingen zusammen zur Inspektion, von dort wurde die Polizei verständigt; der Inspektor bestätigte alles, was in den Pässen der beiden Ingrids stand, und Ingrid Skovsgaards wie auch Agate Jespersens Adressen wurden aufgeschrieben. Dann verließen sie Hand in Hand das Büro.
    „Das wäre erledigt“, sagte Fräulein Skovsgaard. „Jetzt können wir nach Hause fahren.“
    „Nach Hause?“
    „Na ja! Zu mir nach Hause selbstverständlich. Was sonst?“
    „Ja, aber… Sie dürfen doch nicht… Sie sollen nicht…“
    „Aber ja doch! Ich darf und soll und muß. Hallo – Taxi!“ Dann saß Ingrid in einem großen, bequemen Auto und fuhr durch lange, breite Straßen mit wimmelndem Verkehr, mit Massen von funkelnden Lichtreklamen, mit erleuchteten Ladenfenstern. Sie fuhren über
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