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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken
Autoren: Berte Bratt
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kleinen Ingrid gegenüber nannte – sehr besorgt um ihr Geld sei. Denn so selten sie auch schrieb, immer war in ihren Briefen von geldlichen Schwierigkeiten die Rede, und wie teuer alles geworden sei, und daß die Hausangestellte, die sie hatte, so verschwenderisch sei.
    Als Ingrid zwei Jahre alt war, verlor sie ihre Mutter.
    Wieder ging eine Todesanzeige in die Welt hinaus. Wieder nach Norden. Tante Margrete hatte Frau Jespersens Adresse unter Juttas hinterlassenen Habseligkeiten gefunden und die Anzeige abgeschickt.
    Ja, was hatte Tante Margrete nicht alles getan. Was wäre aus Ingrid geworden, wenn sie nicht Onkel Peter und Tante Margrete gehabt hätte.
    Ingrid war so unbeschreiblich allein in der Welt, als sie ihre Mutter verloren hatte. Nahe Anverwandte besaß sie nicht. Die weitere Verwandtschaft war in alle Winde verstreut und kümmerte sich nicht um sie. So war das Mädchen ganz allein, ein einsames, hilfloses kleines Wesen in Gottes weiter Welt.
    Ihren Vater hatte Ingrid nie gekannt. Er war durch einen Unfall ums Leben gekommen, ehe sie geboren wurde.
    Aber ein Zuhause hatte sie doch bekommen. Onkel Peter und Tante Margrete hatten sich als gute Nachbarn ihrer angenommen. Ingrid wuchs in einer großen Geschwisterschar auf. Als sie zu Onkel Peter und Tante Margrete kam, war nur die Elke dagewesen. Bald aber wurde Monika geboren, und zuletzt kamen noch die Zwillinge Hans und Grete dazu. Ingrid war noch klein, da lernte sie schon, die kleinsten Kinder zu warten, sie zu füttern, sie trockenzulegen und in den Schlaf zu lullen. Aber sie lernte noch mehr. Geschirr spülen, Kartoffeln schälen und Gemüse putzen. Sie lernte Brei kochen und Kaffee machen. Wenn Tante Margrete draußen auf dem Feld zu tun hatte, was besonders in der Erntezeit der Fall war, mußten Ingrid und Elke das Haus besorgen.
    Onkel Peter und Tante Margrete hatten einen kleinen Hof, sie bauten Kartoffeln und Gemüse an und züchteten Hühner, Enten und Kaninchen. Sie hielten zwei Kühe und ein Pferd. Auf dem Pferderücken sitzen zu dürfen war Ingrids größte Freude. Das allerschönste war, wenn sie ab und zu das schöne Reitpferd auf dem großen Nachbarhof reiten durfte! Dann saß sie in einem richtigen Sattel, sie trainierte Trab und Galopp – oh, war das herrlich! Nichts war schöner, als wenn der Sohn des Nachbarn, dem das Pferdgehörte, verreist war. Dann mußte ja das Tier bewegt werden, und für Ingrid bedeutete das jeden Tag eine Stunde auf dem Pferderücken.
    Noch ehe Ingrid in die Schule kam, konnte sie schon melken. Später gehörte es zu ihren Pflichten, die Kaninchen zu besorgen, und diese Arbeit liebte sie. Alles, was mit lebendigem Getier zu tun hatte, übernahm sie gern. Ingrid kam früh in die Schule. Als Elke eingeschult wurde, war Ingrid erst fünfeinhalb. Trotzdem meldete man sie mit an. Denn sie war ein aufgewecktes Kind, und Tante Margrete und Onkel Peter fanden es so praktischer. Die beiden kleinen Mädchen saßen nun auf derselben Schulbank, machten ihre Aufgaben zusammen, lernten um die Wette und hatten auf diese Weise viel Freude an der Schule. So kam es dann auch, daß Ingrid schon mit fünfzehn Jahren entlassen wurde.
    In der Familie mußte alles arbeiten, die Erwachsenen wie auch die Kinder. Sie standen früh auf und schafften in einem steten, stillen, fleißigen Rhythmus den lieben langen Tag hindurch. Jeder versah sein Tagewerk in einer einfachen und selbstverständlichen Art.
    Abends saßen sie alle um den Tisch, Friede und Ruhe erfüllten sie. Tante Margrete und die kleinen Mädchen holten Stopfkorb und Strickzeug hervor, Onkel Peter sah in die Zeitung. Hin und wieder las er auch einmal laut vor. Ein stilles Behagen lag über dem kleinen Hauswesen.
    Noch jetzt durchströmte Ingrid dies Behagen, während sie hier auf der Bank saß mit dem neuen, feierlichen Paß in der Hand.
    Sie holte den Brief aus der Paßmappe und las ihn zum hundertsten Male. Den Brief mit der Einladung nach Kopenhagen.
    Tante Agate schrieb sehr nett von Mutter. Wie sie Mutter geschätzt habe, wie oft sie an das kleine, einsame Mädchen habe denken müssen; und ob Ingrid noch die silberne Kette besitze; ob sie sie jemals trage und dabei an die alte Tante Agate denke, die sie nie gesehen hatte? Jetzt sei Ingrid gewiß ein großes Mädchen, das allein reisen könne. Ob sie nicht Lust habe, nach Kopenhagen zukommen, in die schöne Stadt, die ihre Mutter so gern gemocht hatte? Ob sie nicht Lust habe, ein Jahr in Dänemark zu verleben?
    Ingrid
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