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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken
Autoren: Berte Bratt
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klare Gesicht der Nachmittagssonne zugekehrt.
    Sie empfand nur die frische, köstliche Luft. Ihre Augen blitzten vor Freude, wenn einer der weißen Vögel herabschoß, um sich das Brot zu schnappen – und sie fand es herrlich, ins Ausland zu reisen.
    „Ja“, sagte Fräulein Skovsgaard, „jetzt sind wir auf Seeland. Und in anderthalb Stunden kommen wir in Kopenhagen an.“
    „Schade, daß ich dann von Ihnen weg muß“, sagte Ingrid leise, „Sie sind so gut zu mir gewesen…“
    „Liebes Kind, es war für mich urgemütlich, daß ich so netteGesellschaft hatte. Du bekommst übrigens meine Adresse. Manchmal ist es gut zu wissen, daß man in einer so fremden Stadt Freunde hat, nicht wahr?“
    Sie holte aus ihrer Handtasche eine Visitenkarte. „Da. Bewahre sie gut auf. Da steht mein Name mit Adresse und Telefonnummer drauf.“
    „Vielen Dank…“
    Ingrid fühlte sich plötzlich ganz geborgen, als sie die Karte in das hintere Fach ihrer Schultertasche zu dem Paß und den drei Briefen von Tante Agate legte.
    Es begann dämmerig zu werden. Ingrid saß still, die Stirn gegen die Scheibe gepreßt, und schaute auf die Dörfer mit den sonderbaren, fremdartigen Namen. Die Besiedlung wurde dichter, die Ortschaften größer. Mehrmals glaubte sie schon, nach Kopenhagen hineinzufahren, aber es waren immer nur kleine Städte an der Bahnstrecke.
    „So“, sagte Fräulein Skovsgaard endlich, „jetzt tauchen die Lichter von Kopenhagen auf.“
    Ingrid erhob sich. Wieder kam Unruhe über sie. Sie holte ihren Koffer runter, zog den Mantel an, nahm die kleine „Flagge“ in die Hand, die Fräulein Skovsgaard ihr gemacht hatte, und bereitete sich auf das Unbekannte vor.

Ein ungeahnter Zwischenfall
     
     
    Langsam war der Zug in die große Bahnhofshalle eingefahren.
    Der Lärm von redenden und rufenden Menschen, von harten, klappernden Metallrädern auf dem langen Bahnsteig schlug ihr entgegen. Sie sah erschrocken und hilflos um sich. Ihr Blick suchte die Augen von Fräulein Skovsgaard.
    „Sei unbesorgt, Ingrid. Ich bleibe bei dir, bis wir Frau Jespersen gefunden haben.“
    „Sie sind so freundlich…“
    „Ach was! So, halte das Schild ganz hoch. Nimm den Koffer in die andere Hand, und jetzt geh langsam, ganz langsam zum Ausgang. Zu dumm, daß du nicht weißt, wie deine Tante aussieht! Aber sie hält ja nach dir Ausschau. Halt, halt, nicht so fix!“
    Überall um sie herum begrüßten sich die Leute. Es summte in allen möglichen fremden Sprachen. Helle Freudenrufe. Frohe Umarmungen. Koffer gingen von Hand zu Hand. Paare fanden einander und zogen fröhlich von dannen.
    Allmählich leerte sich der Bahnsteig.
    Ingrids Augen suchten angstvoll. Niemand achtete auf ihr Schild. Nirgendwo eine ältere Dame, die sich fragend und suchend umschaute.
    Alle anderen fanden, wen sie erwartet hatten, alle eilten davon.
    Schließlich war der Bahnsteig menschenleer. Diese Leere schlug den beiden gähnend entgegen – der großen und der kleinen Ingrid – als sie immer noch unter dem gewölbten Dach der Bahnhofshalle standen und auf die Treppe starrten. Niemand kam, das Mädchen zu holen.
    Ingrid schluckte und schluckte. Der Kloß in ihrem Halse wurde immer größer. Sie kam sich unendlich klein und unendlich verlassen vor. Ein Gefühl der Scham beschlich sie, weil Fräulein Skovsgaard nun solchen sonderbaren Eindruck von der Tante bekam.
    Ingrid war nicht mehr das große, tüchtige Menschenkind, das kochen und aufwaschen, kleine Kinder warten und Kaninchen besorgen konnte. Sie war ein furchtsames und einsames kleines Mädchen aus einem fremden Land, müde, mit scheuen, enttäuschten Augen. Es war nicht die feste, arbeitsgewohnte Hand eines großen, tüchtigen Mädchens, die jetzt Fräulein Skovsgaard anfaßte. Eine schmale kleine Kinderhand schlich sich in Fräulein Skovsgaards Hand hinein, eine furchtsame kleine Hand, die Hilfe und Schutz suchte.
    Die warme feste Hand der jungen Malerin schloß sich gut und sicher um die kleine Faust. Im Nu wurde Ingrid ruhiger. DieseHand versprach viel – und sie würde das, was sie versprach, auch halten.
    „So, Kopf hoch, Ingrid! Jetzt warten wir noch zehn Minuten. Wenn Frau Jespersen bis dahin nicht gekommen ist, dann muß irgendein Mißverständnis vorliegen. Dann müssen wir uns überlegen, was wir machen wollen. Du kannst jedenfalls sicher sein, daß ich dich nicht aus den Augen lasse. Nun mach mal ein vergnügtes Gesicht, Ingridchen. Ist das etwa kein spannendes Abenteuer?“
    Ingrid verzog den
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