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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken
Autoren: Berte Bratt
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mehr allein war. Die Worte entschlüpften ihr unwillkürlich; die Bahnbeamten lächelten.
    In der Kiste tummelten sich sechs kleine Äffchen und streckten winzigkleine bettelnde Händchen durch die Maschen des Drahtnetzes.
    „Ja, sie sind niedlich“, sagte einer der Bahnbeamten, „sie haben eine lange Reise hinter sich, die armen Dinger. Sie kommen aus Holland.“
    „Fahren sie noch weiter?“ fragte Ingrid.
    „Ja, nach Dänemark. Sie sind für den Kopenhagener Zoo bestimmt. Sie hätten per Flugzeug fahren sollen, aber da war Nebel und Startverbot in Amsterdam, deswegen…“
    „Die Armen. Dann müssen sie ja durstig sein. Kann man ihnen nicht ein bißchen Wasser geben?“
    „Nein. Wir wollten es schon versuchen, aber der Käfig ist abgeschlossen.“
    „Die armen Dinger…“ Ingrids Herz, das bei dem Gedanken an die Kaninchen schon ganz weich geworden war, blutete jetzt fast beim Anblick der kleinen durstigen Äffchen.
    Aber da kam ihr ein Gedanke. „Ach – ich weiß was – ich hab was für euch!“ Sie riß die Tüte auf, die sie im Arme trug, schälte schnell eine Apfelsine ab, zerteilte sie in kleine Stückchen und steckte sie durch die Drahtmaschen. Kleine gierige Hände griffen danach, entrissen sich gegenseitig die Beute, die Scheibchen wurden mit lautem Schmatzen ausgelutscht, die Händchen bettelten um mehr.
    „Helfen Sie mir doch bitte mal schälen“, sagte Ingrid und reichte, ohne hinzuschauen, dem Bahnbeamten eine Apfelsine hinüber.
    Aber eine kleine Damenhand nahm ihr die Frucht ab, und eine helle, weiche Stimme sagte neben Ingrid: „Du scheinst Tiere gern zu haben, was?“
    „Ja“, sagte Ingrid und schaute sich rasch um, „und die hier sind so durstig!“
    „Ja, die Ärmsten, das sieht man.“
    Die fremde Dame sprach deutsch, aber mit ausländischem Tonfall. Ingrid warf ihr einen verstohlenen Blick zu. Sie war blond, rundlich und freundlich, nicht mehr ganz jung, vielleicht gegen dreißig. Kurzsichtige blaue Augen lächelten hinter einer dicken Brille. Die beiden standen dicht beieinander und schälten im Eiltempo Apfelsinen, zerlegten sie und reichten sie den Äffchen, die gierig lutschten und schlürften.
    „So“, sagte Ingrid, „das war meine letzte. Nun habe ich keine mehr.“
    Die Dame wandte sich lächelnd zu Ingrid um: „Hast du ihnen deinen ganzen Reiseproviant gegeben?“
    „O nein, ich hab ja noch Butterbrote.“
    „Fährst du allein?“
    „Ja. Nach Kopenhagen.“
    „Ich auch. Du bist Deutsche, nicht wahr?“
    „Ja. Ich bin noch nie in Dänemark gewesen.“
    „Dann kannst du ja mit mir zusammenbleiben. Vielleicht kann ich dir ein bißchen behilflich sein. Ich bin Dänin. Komm, wir wollen ganz nach vorn gehen zu den vordersten Wagen. Die fahren nämlichbis Kopenhagen durch, da brauchen wir unterwegs nicht umzusteigen.“
    „Ach?“ Ingrid sah die Dame fragend an.
    „Ja, nicht alle Wagen fahren auf die Fähre, weißt du. Wir suchen uns vorn einen Platz. Komm!“
    Ingrid folgte der freundlichen, lebhaften, hellhaarigen Dame. Ihr fiel sofort ein, was Frau Kistenmacher zu ihr gesagt hatte: „Laß dich niemals mit fremden Leuten ein.“ Aber dann dachte sie weiter: Hier im Zug mit den vielen Leuten kann mir ja nichts passieren! Diese Dame sah so furchtbar nett aus, und es tat so gut, nicht mehr so allein zu sein…
    Sie stand neben der Fremden, und sie lächelten sich an. Der Zug müßte jetzt eigentlich kommen… Da sagte die Stimme im Lautsprecher ihn auch schon an.
    Und siehe da, schon lief der Nordexpreß ein, eine lange, lange Wagenreihe. Ingrids Herz klopfte. Jetzt wurde es wirklich wahr. Jetzt reiste sie aus ihrer Heimat fort – in ein unbekanntes neues Land hinein.
    Sie blieb der hellhaarigen dänischen Dame dicht auf den Fersen. Die Fremde machte den Eindruck, als sei sie das Reisen gewohnt. Sie wußte sofort, in welchen Wagen sie gehörte. Während sie durch den schmalen Gang gingen, schweiften ihre Augen prüfend über die Abteile. „Hier, mein Kind. Hier ist Platz für uns beide.“ Die Koffer wurden auf die Gepäckablage gelegt, und Ingrid setzte sich – beinahe andächtig. Alles war neu und merkwürdig – und es war gut, daß sie nicht allein war.
    „So, nun verrate mir doch einmal, wie du heißt“, sagte die weiche Stimme. „Ingrid.“
    „Nicht möglich. So heiße ich ja auch. Hat man so was schon erlebt!“
    Sie streckten unwillkürlich beide die Hände aus. „Und wie weiter?“
    „Schramm.“
    „Ich heiße so…“ Sie zeigte auf ihr
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