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Das kleine Reiseandenken

Das kleine Reiseandenken

Titel: Das kleine Reiseandenken
Autoren: Berte Bratt
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nicht Zeit und Geld für mich verschwenden…“
    „Warum denn nicht? Du mußt doch ein bißchen von Kopenhagen sehen. Wer weiß, ob…“ Inge brach ab. Sie wollte den Satz nicht zu Ende sprechen. Ihre Sorgen behielt sie lieber für sich. Aber sie konnte ein unbehagliches Gefühl nicht loswerden, seit sie im Krankenhaus mit Frau Agate Jespersen gesprochen hatte. Wenn Ingrid etwas von Kopenhagen haben sollte, dann mußte es in diesen beiden Wochen sein. Später würde nicht viel draus werden. Inge setzte sich an ihr großes Zeichenbrett.
    „Ich arbeite als Reklamezeichnerin, weißt du“, erklärte sie Ingrid. „Damit verdiene ich mein Geld. Die Bilder bringen nicht viel ein, aber dafür machen sie mir Freude. Diese Arbeit liebe ich nämlich. Seiübrigens nicht zu sicher, daß ich nicht eines Tages ein Riesenporträt von dir mache!“
    Darauf begann sie, für eine große Firma schmissige Damen in eleganten Badekostümen zu zeichnen. Ingrid ging derweil im Atelier herum und sah sich die vielen farbenfreudigen Gemälde an. Sie waren heiter und leuchtend wie Inge selbst. Fast auf allen Bildern waren Kinder und Tiere dargestellt. Dixi war mehrfach und in verschiedener Darstellung vertreten. Ein Bild zeigte spielende Kinder unter einem blühenden Apfelbaum. Da war auch ein Porträt von einem strickenden Mädchen, ein Junge mit einem grauen Kätzchen, da war ein bildschönes kleines Zwillingspärchen – und dann hing da noch ein entzückendes Bild von einem Pferd mit einem Fohlen. Dazwischen hingen kleine Skizzen mit allen möglichen Motiven. Auf dem Tisch lag der Skizzenblock, den Inge auf der Reise mitgehabt hatte. „Darf ich ihn mir mal ansehen, Inge?“
    „So viel du willst!“ Ingrid vertiefte sich in die Skizzen. Spielende Kinder und alte Schlösser, ein See mit Schwänen, ein Waldmotiv, ein Sprung Rehe, ein kleiner müder, geduldiger Esel. Zuletzt ein paar schwungvolle Skizzen von ihr selbst, wie sie von der Fähre aus die Möwen fütterte.
    „Na? Magst du sie?“
    „Ja – besonders…“
    „Besonders die Möwen, nicht?“
    „Nein. Besonders den Esel.“
    Inge legte den Bleistift aus der Hand und schaute zu Ingrid hinüber: „Sag mir doch, warum du den am liebsten magst?“
    „Es… es ist nicht nur einfach eine Zeichnung von einem Esel. Der… der ist so… so geduldig… man sieht so deutlich, daß er nichts anderes gewöhnt ist, als ausgenützt zu werden…“
    Ingrid stammelte und stotterte und suchte nach Worten, aber sie gab nicht nach. Sie wollte unter allen Umständen sagen, was sie bei dieser Zeichnung empfand. „Man muß geradezu an die Mutter von diesem Esel denken. Und an alle Esel überhaupt. Die schuften und rackern sich ab und ziehen und tragen viel zu schwere Lasten – undkönnen sich überhaupt nicht anders zur Wehr setzen, als daß sie sich sträuben. Wenn wir sie dann störrisch nennen, so ist das eine Ungerechtigkeit. Wie sollten die Esel sonst zeigen, daß sie müde sind und nicht mehr können?“
    Inge stand auf. Sie trat an Ingrid heran, strich ihr übers Haar, und als sie zu sprechen anfing, war ihre Stimme sonderbar bewegt.
    „Willst du damit sagen, daß du wirklich das alles in der kleinen Zeichnung siehst?“
    „Ja – und noch mehr!“
    „Weißt du, Kind – ich habe es nie auch nur ein einziges Mal erlebt, daß jemand eine Skizze so gut verstanden hat. Das sagt mir, daß die Skizze gut sein muß – und – daß du ein ungeheuer lebendiges Gefühl haben mußt.“
    „Aber wieso – ich hab doch bloß Tiere so gern.“
    „Das auch, natürlich.“ Inge blieb stehen und betrachtete das schmale Mädchengesicht, versuchte zu lesen, was sich hinter der jungen Stirn regte.
    „Weißt du was, Ingrid? Ich werde das Bild mehr ausführen, in Kohle. Dann schenke ich dir den kleinen Esel.“
    „Aber…“
    „Nein. Kein Aber. Ich weiß nichts Schöneres, als wenn meine Bilder den Menschen in die Hände kommen, die etwas damit anfangen können. Und ich weiß nichts Schrecklicheres, als wenn ich sie – ab und zu sogar für viel Geld – an Leute verkaufen muß, die nicht einen Deut davon begreifen! Aber jetzt muß ich arbeiten! Wenn du lieb bist, kochst du die Kalbsknochen für Dixi. Wenn du Lust hast, einen Brief nach Hause zu schreiben, dann findest du Papier und Kugelschreiber auf dem Schreibtisch.“
    Ingrid tat, worum Inge sie gebeten hatte. Sie kochte die Knochen ab, und hinterher setzte sie sich an den Schreibtisch.Es wurde ein langer, langer Brief. Sie hatte so furchtbar
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