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Das kleine Gespenst

Das kleine Gespenst

Titel: Das kleine Gespenst
Autoren: Otfried Preußler
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siebenunddreißig Kinder der Klasse los, um das kleine Gespenst zu fangen. Sie stürmten mit Indianergeheul durch die Halle und drängten zur Tür hinaus.
    „Seht ihr es? Seht ihr es?", riefen die, die am weitesten hinten waren; und die, die am weitesten vorn liefen, schrien: „Dort drüben rennt es!"
    Das kleine Gespenst hielt sich möglichst lange im Schatten der Burgmauern, denn es scheute wie alle Nachtgeschöpfe das volle Sonnenlicht. Im Übrigen hatte es seinen Spaß daran, von den Kindern gejagt zu werden,
    „Schreit ihr nur!", dachte es. „Wenn ihr glaubt, dass ich vor euch Angst habe, irrt ihr euch!"
    Einmal ließ es die Kinder auf wenige Schritte herankommen. Als aber die vordersten Buben es packen wollten, schlug es plötzlich einen Haken -und seine Verfolger purzelten auf die Nase.
    „Das ist gut, das ist sehr gut!", dachte das kleine Gespenst. „Das versuchen wir gleich noch ein paar Mal ..."
    Auch beim zweiten Mal klappte die Sache großartig.
    Aber beim dritten Mal passte das kleine Gespenst nicht auf, da geriet es beim Ausweichen aus dem Mauerschatten hinaus in das pralle Sonnenlicht.
    Nun geschah etwas Seltsames!
    Kaum hatte der erste Sonnenstrahl es berührt, als das kleine Gespenst einen furchtbaren Schlag auf den Kopf bekam, der es fast zu Boden warf, Laut aufheulend schlug es die Hände vor das Gesicht und begann zu taumeln. Im gleichen Augenblick riefen die Kinder: „Ui, seht doch! Was ist denn mit dem Gespenst los? Zuerst war es weiß - und jetzt ist es auf einmal schwarz! Es ist schwarz wie ein Schornsteinfeger! "
    Das kleine Gespenst hörte die Kinder schreien, ohne sie zu verstehen. Es fühlte, dass irgendetwas mit ihm geschehen war, was es sich nicht erklären konnte. Woher sollte es denn auch wissen, dass
    Gespenster vom ersten Sonnenstrahl, der sie trifft, schwarz werden?
    „Ich muss weg!", war sein einziger klarer Gedanke. „Weg muss ich! Weg von hier!"
    Doch wohin in der Eile? Zurück auf den Dachboden konnte es nicht, weil die Schulkinder ihm den Weg versperrten ... Aber der Brunnen dort, in der Mitte des Burghofes! Wenn es sich in den Brunnen stürzte? Im Brunnen war es in Sicherheit. Vor den Kindern und vor den Sonnenstrahlen ...

    Das kleine Gespenst überlegte nicht lang, Es eilte zum Brunnen und sprang hinein.
    Als die Kinder das sahen, erschraken sie furchtbar.
    „Herr Thalmeyer!", riefen sie. „Schnell! Das Gespenst hat sich in den Brunnen gestürzt!"
    Herr Thalmeyer glaubte nicht an Gespenster. Er war überzeugt, dass ein Mensch in den Brunnen gefallen war.
    „Um Himmels willen!", rief er und rang die Hände.
    „Was für ein Unglück, Kinder! Wir müssen sofort um Hilfe rufen! Schreit, Kinder, schreit!"
    Herr Thalmeyer und die siebenunddreißig Schulkinder riefen um Hilfe. Sie riefen so laut, dass der Burgverwalter und die beiden Aufseher aus dem Museum und alle Leute, die gerade da waren, um die Burg zu besichtigen, herbeigestürzt kamen und ganz entgeistert fragten, was denn um Gottes willen geschehen sei.
    „Stellen Sie sich vor", stammelte Herr Thalmeyer, „jemand ist in den Brunnen gefallen!"
    „Etwa eines von Ihren Schulkindern?", fragte der Burgverwalter entsetzt.
    „ Glücklicherweise nicht, sondern ..."
    „Sondern?"
    Herr Thalmeyer zuckte die Achseln.
    „Ich weiß es nicht", sagte er. „Aber wir alle haben gesehen, wie er hineingefallen ist - und ich finde, wir müssen unbedingt alles tun, um ihn wieder herauszuholen! "

Auf dem Grund des Brunnenschachts, der gut und gern seine vierzig Meter tief war, stand Wasser. Das Wasser war schwarz und kalt. Das kleine Gespenst hatte nicht die geringste Lust, damit in Berührung zu kommen. Es fand in der Brunnenwand einen Vorsprung, der breit genug war, um sich darauf zu setzen. Hier ließ es sich nieder und sah auf den dunklen Wasserspiegel hinab.
    Von unten blickte ihm eine schwarze Gestalt entgegen. Die schwarze Gestalt hatte weiße Augen und trug einen Schlüsselbund in der Hand - einen Schlüsselbund, an dem dreizehn Schlüssel hingen. Daran erkannte das kleine Gespenst, dass die schwarze Gestalt in der Tiefe sein eigenes Spiegelbild war.
    „Huch, wie ich aussehe!", rief es entsetzt. „Ich bin ja ganz schwarz geworden! Von oben bis unten schwarz! Das einzige Weiße an mir sind die Augen. Sie leuchten so grell, dass es richtig zum Fürchten ist. Ich bekomme gleich vor mir selber Angst! Huch!"
    Noch immer brummte dem kleinen Gespenst der Kopf. Es fühlte sich schrecklich elend und mitgenommen.
    „Ich
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