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Das kleine Gespenst

Das kleine Gespenst

Titel: Das kleine Gespenst
Autoren: Otfried Preußler
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möchte bloß wissen, warum ich schwarz geworden bin", fragte es sich. „Und der furchtbare Schlag auf den Schädel vorhin! Wenn ich nur daran denke, wird mir ganz schwindlig ... Sicher war es das Sonnenlicht, das mir den Schlag versetzt hat. Das Sonnenlicht hat mich wahrscheinlich auch schwarz gemacht ... Das hätte ich vorher wissen sollen! Dann wäre ich hübsch in meiner Truhe geblieben und hätte mich keinen Zentimeter hinausgerührt ..."
    Das kleine Gespenst warf seinem Spiegelbild einen giftigen Blick zu.
    „Schrecklich, mir vorzustellen, dass ich mein ganzes weiteres Leben als schwarzes Scheusal verbringen soll! - Ob es vielleicht ein Mittel dagegen gibt: ein Mittel, das einen wieder weiß macht ...? Hoffentlich, hoffentlich!"
    Während das kleine Gespenst im Brunnen hockte und nachdachte, war der Burgverwalter in sein Büro gelaufen und hatte die Feuerwehr alarmiert. Kurz darauf kam mit Tatü-Tata ein Feuerwehrauto zum Burgtor hereingebraust, darin saßen ein Feuerwehrhauptmann und sieben Feuerwehrleute.
    Der Feuerwehrhauptmann ließ sich vom Burgverwalter und vom Herrn Oberlehrer Thalmeyer berichten, was vorgefallen war, und nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, legte er zwei Finger an seinen goldenen Feuerwehrhauptmannshelm und sagte: „Ganz klar, meine Herren! Einer von meinen Männern muss in den Brunnen steigen und den Verunglückten bergen."
    Er wandte sich an die sieben Feuerwehrleute und fragte: „Wer meldet sich freiwillig?"
    Jeder der sieben Feuerwehrleute legte die rechte Hand an den Helm und rief: „Ich, Herr Hauptmann!"
    Da wählte der Feuerwehrhauptmann den kleinsten und schmächtigsten seiner Männer aus. Dem hakten sie ein langes Seil an den Feuerwehrgürtel und der Hauptmann hängte ihm eigenhändig eine Laterne um den Hals und sagte: „Machen Sie's gut, mein Lieber!"
    Langsam und vorsichtig stieg der Feuerwehrmann an einer Strickleiter in den Brunnenschacht, während ihn seine Kameraden an dem langen Seil, das sie ihm an den Gürtel gehakt hatten, festhielten.

    Das kleine Gespenst sah den Feuerwehrmann mit der Laterne im Brunnen heruntersteigen, Es fühlte sich ziemlich unbehaglich, denn es konnte sich ausrechnen, wann er unten ankommen und es entdecken würde.
    „Und was dann?", überlegte das kleine Gespenst.
    Es blickte sich in dem dunklen Brunnenschacht um. Schräg gegenüber von seinem Sitzplatz entdeckte es eine niedrige Eisentür in der Brunnenwand. Ein mächtiges altes Schloss hing davor.
    Wohin diese Tür wohl führte?
    Rasch schwenkte das kleine Gespenst den Schlüsselbund. Die Eisentür tat sich auf und es zeigte sich, dass dahinter ein schmaler unterirdischer Gang begann.
    „Ah, ein Geheimgang!", dachte das kleine Gespenst.
    Es schlüpfte hinein und hinter ihm schloss sich die Eisentür, wie wenn nichts gewesen wäre.
    „Gut so", sagte das kleine Gespenst, „ausgezeichnet! Nun können sie draußen mit ihrer Laterne suchen, so lang sie wollen. Hier bin ich in Sicherheit. Und hier bleibe ich, bis es Mitternacht schlägt. Dann kehre ich durch den Brunnen zurück auf den Dachboden und die Sache hat sich."

Bisher hatte das kleine Gespenst gemeint, dass es ihm nur in der Eichentruhe möglich sei, richtig und fest zu schlafen. Aber nun stellte es sich heraus, dass das gar nicht stimmte. Auch auf dem feuchten Steinboden des Geheimganges ließ es sich prächtig schlummern - so prächtig, dass sich das kleine Gespenst beim Erwachen nur mühsam darauf besinnen konnte, wie es hierher geraten war.
    Zwar hatte es diesmal das Läuten der Mitternachtsglocke nicht hören können, bis hier unten drang ja kein Laut aus der Oberwelt; dennoch war es
    davon überzeugt, dass es zwölf Uhr nachts sei. Es fühlte sich herrlich ausgeschlafen wie immer, wenn es beim zwölften Mitternachtsglockenschlag in der Truhe erwacht war.
    Das Einzige, was es hier unten vermisste, waren die Spinnweben und der Staub.
    „Zu dumm, dass mich nichts in der Nase kitzelt!", dachte es. „Wenn ich nach dem Erwachen nicht niesen kann, fehlt mir ganz einfach etwas."
    Wie gestern beschlossen, wollte das kleine Gespenst durch den Brunnenschacht in die Burg zurückkehren. Aber als es daranging, die eiserne Tür zu öffnen, kam ihm ein neuer Gedanke: „Wie wäre es, wenn ich dem Gang nach der anderen Seite folgte? Ich möchte herausbekommen, wohin er führt."
    Das kleine Gespenst war begeistert von seinem neuen Plan. Es klemmte sich den Schlüsselbund unter den Arm und begann dem Geheimgang zu folgen. Da es
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