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Das kleine Gespenst

Das kleine Gespenst

Titel: Das kleine Gespenst
Autoren: Otfried Preußler
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der General Torstenson zog ein Gesicht, als wollte er im nächsten Augenblick in ein schallendes Gelächter ausbrechen.
    „Das fehlt mir gerade noch, dass ihr euch über mich lustig macht!", schimpfte das kleine Gespenst.
    Es wollte dem General samt den Grafen und Rittern den Rücken kehren - da sah es in einer der Glasvitrinen die goldene Uhr liegen: Torstensons Taschenwecker, den er seinerzeit in der Eile des Aufbruchs verloren hatte und der später auf allerlei
    Umwegen als Erinnerungsstück in das Burgmuseum gelangt war. Das kleine Gespenst hatte früher schon manchmal mit Torstensons Wecker gespielt, daher wusste es damit umzugehen, und darauf baute es seinen neuen Plan.
    „Ich hoffe, du hast nichts dagegen, mein lieber Torstenson, wenn ich mir deinen Taschenwecker ein wenig ausleihe", sagte es schmunzelnd. „Du musst nämlich wissen, dass ich ihn außerordentlich gut verwenden kann ..."
    Es schwenkte den Schlüsselbund, öffnete die Vitrine und holte die Uhr heraus. Dann zog es sie auf und eilte damit zurück auf den Dachboden, wo es zufrieden in seine Truhe stieg und den Wecker auf neun Uhr früh stellte.
    „Wenn ich mit einem Ohr auf der Uhr liege", dachte es, „werde ich unbedingt wach, wenn das Läutwerk rasselt, da kann nichts schiefgehen!"
    Es sollte sich leider herausstellen, dass sich das kleine Gespenst schon wieder einmal verrechnet hatte. Der Wecker des Generals hat zwar pünktlich um neun gerasselt, aber das kleine Gespenst hat ihn nicht gehört. Es hat einfach weitergeschlafen bis nachts um zwölf. Erst als die Schläge der Mitternachtsglocke vom Rathaus zur Burg heraufklangen, ist es aufgewacht,
    „Ich möchte bloß wissen, wie so etwas möglich ist!", überlegte es und versuchte sein Glück mit dem Wecker ein zweites und drittes Mal - aber stets mit dem gleichen Misserfolg.
    Da entschloss es sich in der folgenden Nacht dazu, Torstensons goldene Taschenuhr wieder an ihren Platz in der Glasvitrine zurückzulegen, und das war gut so. 

    Denn inzwischen hatten die beiden Museumsaufseher den Verlust des kostbaren Stückes bemerkt und es hatte eine Riesenaufregung gegeben. Sogar die Polizei war benachrichtigt worden und der Herr Kriminaloberwachtmeister Holzinger hatte festgestellt: „Da müssen ganz ausgekochte Burschen am Werk gewesen sein. Eine solche Vitrine knacken, ohne dass hinterher die geringsten Spuren zu finden sind, das bringen nur Leute fertig, die eine Menge davon verstehen!"
    Ja - und nun lag die goldene Taschenuhr also wieder an ihrem Platz, als sei nichts geschehen. Mochten sich morgen früh die Museumsaufseher ruhig den Kopf zerbrechen, wie sie dahin gekommen war! Dem kleinen Gespenst war das einerlei, das kleine Gespenst hatte seine eigenen Sorgen. Es erzählte die ganze Geschichte dem Uhu Schuhu und fragte ihn: „Können Sie sich erklären, wieso mich der Wecker des Generals nicht geweckt hat?"
    Herr Schuhu blinzelte mit den Augen, als müsse er über die Frage des kleinen Gespenstes angestrengt nachdenken. Aber als weisem Uhu war es ihm selbstverständlich bekannt, dass zu jedem Gespenst auf Erden eine bestimmte Uhr gehört und dass es allein von dem Gang dieser einen Uhr abhängt, wann das Gespenst erwacht und wieder einschläft.
    „Und die Uhr, lieber Freund, auf die es bei Ihnen ankommt", hätte er sagen können, „das ist, wie Sie wissen sollten, die Rathausuhr unten im Städtchen Eulenberg. Sie - und nur sie allein - bestimmt über Ihre Zeit. Selbst wenn Sie Ihre Glockenschläge einmal nicht hören könnten, müssten Sie ihr gehorchen. Dagegen können Sie gar nichts machen, weder mit Ihrem Willen noch mit dem Taschenwecker des Generals. Sollten Sie unbedingt einmal zu einer anderen Stunde erwachen wollen als sonst, dann wäre das nur zu erreichen, indem Sie die Rathausuhr um die gewünschte Zeitspanne vor- oder nachstellen. Aber das würde ich Ihnen nicht raten, Da lassen Sie, glaube ich, besser die Finger davon ..."
    Dies alles hätte der Uhu Schuhu dem kleinen Gespenst also antworten können, wenn er gewollt hätte. Aber er hielt es für klüger, sein Wissen für sich zu behalten. Womöglich hätte das kleine Gespenst es sonst fertig gebracht, an der Rathausuhr herumzudrehen - und wer weiß, ob das gut gegangen wäre.
    Nein, es war wirklich besser, wenn er dem kleinen Gespenst davon nichts verriet. Darum sagte er ausweichend: „Wissen Sie, lieber Freund - ich an Ihrer Stelle würde mich damit abfinden, dass es auf Erden gewisse Dinge gibt, die sich nicht ändern
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