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Das kleine Gespenst

Das kleine Gespenst

Titel: Das kleine Gespenst
Autoren: Otfried Preußler
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Lederweste, der kein Geringerer war als der gefürchtete schwedische General Torsten Torstenson. Er hatte vor dreihundertfünfundzwanzig Jahren mit seiner Armee die Burg Eulenstein und das Städtchen belagert; doch schon nach wenigen Tagen hatte er eines Morgens das Lager abbrechen lassen und war mit seinen Soldaten unverrichteter Dinge davonmar-schiert.
    „Nun, General?", lachte das kleine Gespenst, wenn es Torstensons Bild betrachtete, „Wie ich fürchte, zerbricht man sich in gelehrten Kreisen noch heute den Kopf darüber, was Sie damals wohl zu dem hastigen Abzug bewogen hat ... Aber seien Sie unbesorgt, General, ich behalte die Sache für mich. Höchstens, dass ich sie einmal dem Uhu Schuhu erzähle, der eine Schwäche für solche Geschichten hat. Doch das wird Sie nicht weiter stören, hoffe ich."

Wenn das Wetter es halbwegs zuließ, begab sich das kleine Gespenst vom Dachboden schnurstracks ins Freie hinaus. Wie köstlich die kühle Nachtluft schmeckte, wie leicht und frei es sich atmete unter dem weiten Himmel!
    Besonders liebte das kleine Gespenst die Mondnächte,
    Hoch auf den silbrigen Mauern von Zinne zu Zinne zu hüpfen, wenn einen die Strahlen des Mondes aufleuchten ließen, weißer als eine Wolke Schneestaub: Ja, das war herrlich! Da fühlte das kleine Gespenst sich so glücklich und wohl, dass es immerzu vor sich hin kichern musste: „Hi-hi-hi-hiii! Wie schön ist es auf Burg Eulenstein, wenn der Mond scheint! Hi-hi-hi-hiiiiii!"
    Manchmal spielte das kleine Gespenst mit den Fledermäusen, die des Nachts aus ihren Schlupfwinkeln hervorkamen und die Türme der Burg umflatterten; manchmal sah es den Mäusen und Ratten zu, wie sie bei den Kellerfenstern aus und ein huschten; und manchmal lauschte es auch den Katzen bei ihrem Konzert oder es fing einen taumelnden Nachtfalter in der hohlen Hand.
    Aber am liebsten besuchte das kleine Gespenst seinen alten Freund, den Uhu Schuhu, Er hauste in einer hohlen Eiche am äußersten Rand des Burgberges, wo die Felsen steil nach dem Fluss hin abfielen. Der Uhu Schuhu freute sich jedes Mal, wenn ihn das kleine Gespenst besuchen kam. Auch er schlief bei Tag und erwachte erst gegen Mitternacht. Er war alt und sehr weise und achtete streng darauf, dass man ihm stets mit der nötigen Ehrerbietung begegnete. 

    Selbst von dem kleinen Gespenst ließ er sich nicht duzen, was ihrer Freundschaft jedoch keinen Schaden tat. 
    Gewöhnlich setzte sich das kleine Gespenst neben den Uhu Schuhu auf einen Ast, und dann erzählten sie sich zum Zeitvertreib Geschichten: lange Geschichten und kurze, alte und neue, Geschichten zum Lachen, zum Weinen oder zum Nachdenken, wie sie ihnen gerade einfielen.
    Eines Nachts, als das kleine Gespenst wieder einmal zu der hohlen Eiche gekommen war, meinte der Uhu Schuhu: „Sie wollten mir, wenn ich mich recht erinnere, einmal die Sache mit diesem schwedischen General erzählen. Hieß er nicht Borstensohn?"
    „Torstenson", sagte das kleine Gespenst. „Torsten Torstenson."
    „Und wie war das mit dem?"
    „Ach, das war eigentlich furchtbar spaßig, wissen Sie. Es ist ja nun dreihundertvierundzwanzig - nein, warten Sie, dreihundertfünfundzwanzig Jahre ist das nun her. Nächsten Monat, am 27. Juli, da jährt es sich, Damals kam dieser Torstenson eines Tages mit seinen Schweden hier angerückt. Fußvolk, Kanonen und Reiterei, viele tausend Soldaten und Offiziere. Die haben rund um die Burg und das Städtchen ihre Zelte aufgeschlagen und dann haben sie Laufgräben ausgehoben und Schanzen gebaut. Und natürlich haben sie ihre verdammten Kanonen aufgefahren und haben die Burg und das Städtchen beschossen."
    „Ich stelle mir vor, das war wenig angenehm", meinte der Uhu Schuhu.
    „Nicht angenehm?", sagte das kleine Gespenst, „Einfach ekelhaft war es! Es rumste und krachte den ganzen Tag und die halbe Nacht lang. Ich habe ja glücklicherweise keinen empfindlichen Schlaf, mich bringt nichts so leicht aus der Ruhe. Doch damals?! Es war nicht zum Aushalten, sage ich Ihnen! Dieser Kanonendonner in einem fort und das Krachen und Splittern im Mauerwerk, wenn die Kugeln einschlugen! Eine halbe Woche lang habe ich diesen Höllenlärm über mich ergehen lassen, dann bekam ich es satt!"
    „Und haben Sie etwas dagegen tun können?", fragte der Uhu Schuhu.
    „Gewiss doch! Ich habe mir diesen Torstenson einmal vorgeknöpft. Gleich in der nächsten Nacht bin ich zu ihm hin, in das Generalszelt, und habe ihm meine Meinung gesagt."
    „ Standen denn keine
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