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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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erscheint mir fader, reizloser und in seiner wichtigtuerischen Schlichtheit penetranter als Wasser. Wahrscheinlich kommt diese starke Abneigung daher, dass ich in der Kindheit immer mit diesem Getränk aufgezogen und abgespeist worden
bin. Man hat die interessanteren Getränke den Brüdern gegönnt, mir aber nicht, noch als Oberschüler wurde ich mit Leitungswasser traktiert, während meine Brüder im Verlauf ihrer Schulorgien nächtelang die schärfsten Sachen in sich hineingekippt haben. Eine Zeitlang haben sie damit angegeben und immer neue Getränke aufgefahren, ich aber habe mich dieser stumpfen Trinkerei verweigert und nach den seltenen, feineren Trinkgenüssen gefahndet. Heimlich, ohne je davon zu erzählen, habe ich diese Genüsse erforscht, niemand, selbst die liebe Mutter nicht, hat etwas davon geahnt. Und so sitze ich hier, im südlichen Sizilien, als ein erfahrener Koster rarer Getränke, ich trinke das verdammte Wasser in unendlich verfeinerter Form, und ich habe das Gefühl, ein wenig von meinem vertrauten Zuhause in die Fremde Siziliens hinübergerettet zu haben.

    Während ich langsam weiter an meinem Glas nippe, klopft es an der Tür, und ich höre an der sich halblaut meldenden Stimme sofort, dass es meine bayrische Wirtin ist. Ich öffne und lasse sie eintreten, sie hält einen Meldebogen in der rechten Hand, anscheinend hat sie ihn gerade eigenhändig ausgefüllt, anstatt die Daten aus meinen Papieren sofort in den Computer einzutragen. Mit Hilfe dieses Meldebogens sucht sie das Gespräch, das ahne ich sofort, und ich ahne auch, dass ich mich nun auf weitere Fragen zu meiner Person und den Umständen meines Aufenthalts einzustellen habe.

    Zum Glück beginnt sie damit aber nicht, sondern bleibt beim Eintreten erstaunt stehen. Sie ist überrascht, wie
sich die Räume durch meine Aktivitäten verändert haben, und sie geht mit einigen anerkennenden Worten durch die Zimmer, während sie fast alle Möbel berührt. Genau beobachte ich, wie sie mit der rechten Hand langsam an der Kante des Schreibtischs entlangstreicht und wenig später eine Schrankleiste von oben bis zur Mitte herunterfährt. Das Ganze erscheint mir wie ein Liebkosen oder ein Streicheln, ich nehme mir vor, später noch genauer über die möglichen Bedeutungen dieser kleinen Gesten nachzudenken.

    Als wir in der Küche ankommen, stutzt sie. Sie hat das Glas mit dem Getränk erkannt, weiß aber nicht, was sich genau im Glas befindet. Ich sehe ihrem Lächeln an, dass ihre Vermutungen auf etwas konzentriert Alkoholisches hinzielen.

    – Darf ich Sie zu einem Schluck einladen? frage ich sie.
    – Ich weiß nicht, ob so etwas Starkes mir zu dieser Tageszeit gut tut, antwortet sie.
    – Probieren Sie es einfach! sage ich, fülle ein frisches Glas mit Wasser und gieße etwas Sirup hinein.

    Wir stoßen an, und sie nippt sehr vorsichtig an der Flüssigkeit, als könnte sie sich verbrennen. Als sie begreift, was sie da gerade trinkt, schaut sie mich plötzlich misstrauisch an. Das ist doch ein Getränk für Kinder!

    – Na so was, sagt sie, das trinken hier kleine Kinder.
    – Es ist der feinste Zitronensirup, den man auf Sizilien bekommt, antworte ich.

    Sie schaut mich skeptisch an, sie weiß nicht, ob ich das alles ernst meine, dann aber gibt sie auf, indem sie das gefüllte Glas mit einer leicht indignierten Geste zurück auf den Tisch stellt.

    – Schade, sage ich, schade, dass es Ihnen nicht schmeckt.
    – Ich lade Sie mal zu etwas anderem ein, sagt sie, zu etwas, das die Erwachsenen auf Sizilien mögen.

    Wir gehen zurück in das Zimmer mit Meerblick, das ich als Arbeitszimmer eingerichtet habe. Sie spricht davon, dass sie eigentlich nicht genau wisse, was ein Ethnologe sei und was er so Tag für Tag tue, jedenfalls sei ich der erste Ethnologe, der ihr begegne. Aus lauter Neugier habe sie im Netz nachgeschaut und herausbekommen, dass ich schon mehrere Bücher geschrieben habe und anscheinend ein sehr bekannter und berühmter Ethnologe sei.

    Ich erwidere, dass dies keineswegs so sei, ich sei kein bekannter , sondern höchstens ein von manchen Kollegen anerkannter Ethnologe, ein berühmter Ethnologe aber sei ich auf keinen Fall. Weiter sage ich, dass ich gerne bereit sei, ihr mehr über meine Arbeit zu erzählen, dass wir damit aber noch etwas warten sollten, weil ich von der Reise etwas müde sei und ein wenig Ruhe bräuchte, um wieder den richtigen Schwung zu finden.

    – Und was werden Sie hier erforschen? fragt sie noch.
    – Das
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