Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus
Autoren: Liz Trenow
Vom Netzwerk:
wollen wir weiß Gott hoffen « , sagte Vera.
    Die Bummelbahn nach Braintree pfiff in der Ferne, und der Duft nach gemähtem Gras hing schwer in der Luft. Es war für uns nicht vorstellbar, dass die Armee eines Landes einfach in ein anderes einmarschierte und es an sich riss. » Anschluss « nannten die Nazis das.
    Genau betrachtet passierte das alles in gar nicht weiter Entfernung. Österreich lag schließlich gleich hinter Frankreich und der Schweiz. Bekannte von uns machten dort Wander- oder Skiurlaub. Mein Bruder war erst im letzten Winter zum Skifahren dort gewesen und hatte uns eine Ansichtskarte von schneebedeckten, unglaublich spitzen Bergen geschickt.
    Inzwischen brannte die Sonne nicht mehr so heiß vom Himmel, stand jetzt hinter den Pappeln und warf lange Schatten über die Wiese. Wir erhoben uns, um nochmals nach dem verlorenen Ball zu suchen.
    » Wir sollten besser nach Hause gehen « , sagte ich. » Mutter meinte, dass John vielleicht heute Nachmittag kommt, sofern alles mit der Fähre und dem Umsteigen in London klappt. « Dann sollte ich zu Hause sein, hatte sie mich ermahnt.
    » Warum hast du das nicht gleich gesagt? Er war ja monatelang weg. «
    » Fast ein Jahr. Ich habe ihn vermisst. «
    » Ich dachte, du würdest ihn hassen « , kicherte Vera, während sie rückwärts vor mir herging. » Ich jedenfalls habe ihm seine Rüpeleien nicht verziehen. Schau, das ist immer noch die Narbe von damals, als er mich angeblich ganz aus Versehen von der Schaukel geschubst hat « , sagte sie und deutete auf ihre Stirn. » Das hat er mit voller Absicht gemacht. «
    » Seine kleine Schwester und deren beste Freundin zu ärgern, gehörte einfach dazu. « Zwar waren John und ich immer ein wenig eifersüchtig gewesen, was die Aufmerksamkeit unserer Eltern anging – trotzdem hatte ich zu ihm aufgesehen und war stolz auf ihn. Groß und sportlich, gut aussehend mit dem modisch frisierten dunklen Haar, ähnelte er den gefeierten Tennishelden jener Zeit. Und das wusste er auch und hegte keinerlei Zweifel an seiner Anziehungskraft auf Mädchen. Eine Überheblichkeit, die mich bisweilen ärgerte, und doch hatte ich ihn vermisst, während er zum Studium in der Schweiz weilte.
    Vera und ich deckten gerade im Salon den Teetisch, als es läutete. Ich rannte zur Eingangstür.
    » Hallo, Schwesterchen « , dröhnte John mit einer Stimme, die tiefer war, als ich sie in Erinnerung hatte. Dann schlang er zu meiner Überraschung die Arme um mich und drückte mich kräftig an sich. Das hätte er früher nicht gemacht, dachte ich. Er trat einen Schritt zurück und musterte mich von oben bis unten. » Donnerwetter, bist du groß geworden. Es dauert nicht mehr lange, und du musst nicht mehr zu mir aufschauen. «
    Ich lachte. » Keine Sorge, ich werde dich bestimmt nie einholen. «
    » Das ist auch gut so « , gab er grinsend zurück. » Übrigens gefällt mir deine Frisur. « Sein unerwartetes Kompliment, das erste, das ich von meinem Bruder zu hören bekam, warf mich völlig aus der Bahn. Dann sah ich, wie seine Miene einen ganz merkwürdigen Ausdruck annahm, und während ich mich noch nach dem Grund fragte, bemerkte ich, dass Vera inzwischen ebenfalls zur Tür gekommen war und hinter mir stand.
    » Vera? « Sie nickte und fuhr sich mit den Fingern durch die Locken – ich war mir nicht sicher, ob es aus Verlegenheit geschah oder weil sie mit ihm kokettierte.
    John fasste sich wieder. » Meine Güte, du siehst ja aus wie eine junge Frau « , sagte er bewundernd und gab ihr die Hand. Sie lächelte sittsam und schaute ihn unter gesenkten Wimpern hervor an. Ich kannte diesen Blick bei ihr – nur hatte er nie zuvor meinem Bruder gegolten. Irgendwie gefiel mir das nicht.
    » Wie sind die Prüfungen bei euch beiden gelaufen? «
    Ich zuckte zusammen. » Frag nicht danach. Die Wahrheit wird früh genug in ein paar Wochen ans Licht kommen. «
    Mutter erschien hinter uns und schlang glücklich lachend die Arme um ihn. » Mein lieber Junge. Dem Himmel sei Dank, dass du heil wieder zu Hause bist. Komm schnell herein! «
    Er atmete tief durch, als er in den Flur trat. » Wie schön. Trautes Heim, Glück allein, heißt es nicht so? Hätte nie gedacht, dass es mir so fehlen würde. Was riecht denn hier so herrlich? «
    » Ich habe dir zu Ehren Zitronenkuchen gebacken, ich hoffe, du magst ihn immer noch so gerne wie früher « , sagte Mutter. » Du bleibst doch zum Tee, Vera? «
    » Haben Sie je erlebt, dass ich mir ein Stück Ihres Kuchens entgehen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher