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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus
Autoren: Liz Trenow
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Nächstes kommen würde.
    » Unter den gegebenen Umständen hielten Mutter und ich es für unklug, dich im September nach Genf gehen zu lassen. «
    Eine Ader an meiner Schläfe begann schmerzhaft zu pochen. » Unklug? Was meinst du damit? Ich bin keine Jüdin. Diese Sache mit den Pogromen betrifft mich gar nicht. « Er hielt mit steinerner Miene meinem Blick stand. Seine Entscheidung war gefallen. » Das ist nicht fair « , hörte ich mich jammern. » John durfte schließlich auch gehen. «
    » Das war vor einem Jahr. Die Lage hat sich verändert, mein Kind. «
    » Die Nazis sind nicht in der Schweiz. «
    Er schüttelte den Kopf. » Noch nicht. Hitler ist ein unberechenbarer Mann. Man weiß nie, welches Land er als Nächstes überfällt. «
    » Und Chamberlain? « Ich wusste nicht weiter, klammerte mich an Treibgut, von dem ich ahnte, dass es mich nicht retten würde.
    » Er tut sein Bestes, der arme Mann. « Vater schüttelte traurig den Kopf. » Er glaubt an den Frieden – wie ich. Niemand will wieder Krieg. Nur sieht es leider nicht gerade gut aus. «
    Ich konnte nicht fassen, was gerade geschah. Binnen weniger Minuten war mir mein zukünftiges Leben, wie ich es mir gerne ausgemalt hatte, entglitten, und ich vermochte nichts dagegen zu tun. » Aber ich muss fahren. Ich habe es seit Monaten geplant « , unternahm ich einen letzten Versuch.
    » Betrachte es als vorläufige Entscheidung. Wir teilen dem Institut in Genf mit, dass du im September nicht kommen wirst, und später werden wir weitersehen. « Vaters Stimme klang ruhig und besonnen und zugleich endgültig.
    » Ich will mir keine Zeit lassen. Ich will jetzt fahren « , begehrte ich auf wie ein trotziges Kind. » Außerdem, was soll ich denn sonst machen? «
    Er tastete in seiner Tasche nach seinem Tabakbeutel und seiner Lieblingspfeife aus Bruyère. Mit beinahe provozierender Langsamkeit stopfte er die Pfeife, zündete geschickt ein Streichholz an, hielt es an den Pfeifenkopf und paffte nachdenklich. Nach einer Weile blickte er auf und schaute mich strahlend an, als sei ihm soeben die beste Idee aller Zeiten gekommen. » Wie wäre es mit einem Kochkurs? Das ist immer nützlich. «
    Ich starrte ihn entgeistert an, während es in meinem Innern zu brodeln begann. » Du verstehst das einfach nicht, oder? « Obwohl ich seine missbilligende Miene bemerkte, sprudelten die Worte unkontrolliert aus mir heraus. » Weil ich ein Mädchen bin, glaubst du, mein einziger Ehrgeiz müsse darin bestehen, eine perfekte dumme, kleine Ehefrau zu sein, meinen Mann mit köstlichen Mahlzeiten zu verwöhnen und ihm jeden Abend die Pantoffeln hinzustellen. «
    » Pass auf, was du sagst, Lily « , warnte er mich.
    Um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, fing ich an, vor dem Schreibtisch auf und ab zu gehen, den Blick auf den Perserteppich gerichtet. » Die Zeiten haben sich geändert, Vater. Ich bin genauso intelligent wie jeder beliebige Mann, und ich werde meinen Verstand, den der liebe Gott mir zum Glück geschenkt hat, nicht damit vergeuden, eine meisterliche Köchin oder eine perfekte Näherin zu werden. Und genauso wenig denke ich daran, bald zu heiraten – vorher möchte ich nämlich noch etwas aus meinem Leben machen. «
    » Das sollst du auch, Lily. Wir werden bestimmt etwas Passendes für dich finden. Nur nicht in Genf oder irgendwo anders auf dem Kontinent « , sagte er abschließend. » Und jetzt, glaube ich, sollten wir diese Diskussion beenden. Es ist Zeit, zu Bett zu gehen. «
    Um ein Haar hätte ich die Arbeitszimmertür hinter mir zugeknallt, besann mich jedoch im letzten Augenblick und zog sie behutsam ins Schloss. In meinem Schlafzimmer verfluchte ich Vater, Chamberlain und Hitler. In dieser Reihenfolge.
    Normalerweise liebte ich mein eigenes kleines Reich mit seinen hübschen Damastvorhängen und dem passenden Bettüberwurf – jetzt allerdings schien mich jeder einzelne Gegenstand zu verhöhnen und wie mit Ketten an Westbury zu fesseln. Ich warf einen Blick in den Spiegel und bemerkte, wie erbärmlich ich aussah. Selbstmitleid würde mich nirgendwohin bringen, dachte ich mir, und schon gar nicht in ein interessanteres Leben. Irgendetwas musste mir einfallen, wie ich von zu Hause wegkam, vielleicht nach London, in Veras Nähe. Wenn ich das schaffen wollte, brauchte ich gute Argumente. Immerhin bestand mein Problem darin, dass ich außer einem Schulabschluss nichts vorzuweisen hatte.
    Plötzlich erinnerte ich mich an Tante Phoebe, eine entfernte Verwandte, die
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