Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus
Autoren: Liz Trenow
Vom Netzwerk:
niemand weiß, was die Nazis als Nächstes planen « , erklärte John mit ernstem Gesicht. » Die Juden werden schikaniert, wo es nur geht. Ich habe gelbe Sterne an Häusern und Läden gesehen. Zerbrochene Fenster. Die Ärmsten wurden auf der Straße angepöbelt. « Sein Blick schweifte abwesend zum Fenster, als könne er selbst nicht glauben, was er gesehen hatte. » Sie nennen es Pogrom « , flüsterte er. Ich hatte das Wort nie zuvor gehört, doch es klang bedrohlich und hing lastend im Raum.
    » Das ist eine so trübsinnige Unterhaltung « , unterbrach Mutter das Gespräch. » Ich möchte die Rückkehr meines Sohnes feiern und mich nicht von den Ereignissen auf dem Kontinent deprimieren lassen. Noch jemand ein Stück Kuchen? «
    Später schlenderten Vera und ich die Straße zum Haus ihrer Eltern hinunter. Sie wohnte nicht weit entfernt, und wir begleiteten einander normalerweise die Hälfte des Weges. » Was meinst du? « , fragte ich sie.
    » Hat sich ganz schön verändert, was? Er ist richtig männlich geworden und sieht ziemlich gut aus. «
    » Nicht wegen John « , fuhr ich ihr über den Mund. » Ich habe gesehen, wie du mit den Wimpern geklimpert hast, du kleine Kokotte. Hände weg von meinem Bruder! «
    » Schon gut, schon gut. Krieg dich mal wieder ein. «
    » Ich meinte wegen der Sachen, die er erzählt hat. «
    » Ach das « , sagte sie. » Klingt hart. «
    » Offenbar vor allem für die Juden. « Ich dachte eine Weile nach. » Ich habe das mit den Pogromen zwar immer noch nicht verstanden, aber es muss etwas ganz Schreckliches sein. «
    » Na ja, da gibt es nicht viel, was wir von hier aus unternehmen können. Lass uns hoffen, dass dein Vater mit seiner unerschütterlichen Überzeugung recht behält, dass Chamberlain das irgendwie wieder in Ordnung bringt. «
    » Und wenn er es nicht schafft? «
    Sie antwortete nicht gleich, doch wir wussten beide, was das bedeuten würde.
    » Nicht auszudenken « , sagte sie.
    Als ich zurückkehrte, steckte Vater den Kopf aus der Tür seines Arbeitszimmers.
    » Lily? Hast du einen Moment, bitte? «
    Es war ein kleines Zimmer mit einem Fenster, das auf den Hof hinausging, und mit Regalen voller Bücher an den Wänden. Über allem hing ein schwerer Tabakgeruch, denn Vater war ein passionierter Pfeifenraucher. Außerdem war es der wärmste Raum von allen, denn sobald es kühl wurde, brannte immer ein Kohlefeuer in dem kleinen Kamin. Das Arbeitszimmer war Vaters Heiligtum, und die schwere, vertäfelte Tür blieb normalerweise geschlossen. Sogar meine Mutter klopfte an, bevor sie eintrat.
    Trotzdem schlich ich mich öfters heimlich hinein, wenn er nicht da war, und schaute mir die Bücher an: Die Seidenweber von Spitalfields, Die Seidenraupenzucht in Japan, Die Hugenotten, So spinnt die Seidenraupe und viele andere mehr. Mir hatte es besonders die Biografie eines Bänder- und Etikettenherstellers angetan – nicht wegen des Inhalts, sondern wegen des komischen Titels: Renommee für Rüschen hieß sie. Am faszinierendsten aber war ein einfacher Kasten voll mit Dutzenden Bögen Kanzleipapier, die dicht mit Vaters sauberer Handschrift beschrieben waren. Auf dem ersten Blatt stand in selbstbewussten Großbuchstaben: DIE GESCHICHTE DER SEIDE von HAROLD VERNER . Zu gerne hätte ich ihn gefragt, ob er dieses Manuskript irgendwann zu veröffentlichen gedachte, ließ es aber trotzdem bleiben. Schließlich hätte ich damit verraten, dass ich gelegentlich in seinem Zimmer herumkramte.
    Jetzt lehnte ich mich unbehaglich an den Schreibtisch, während Vater in seinem Ledersessel am Fenster saß. Er atmete so tief ein, dass es sich fast wie ein Seufzen anhörte.
    » Mutter und ich hatten ein kleines Gespräch « , fing er an, was so viel hieß wie: Er hatte etwas entschieden und ihr mitgeteilt, was er dachte. Meine Gedanken überschlugen sich. Das ließ nichts Gutes erahnen. Was konnte es nur sein? Was hatte ich in letzter Zeit falsch gemacht?
    » Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden, Liebes. Du liest die Zeitung, und nach dem, was John uns heute Nachmittag erzählt hat … «
    » Über das Pogrom? « Das Wort blieb wie ein Kloß in meiner Kehle stecken.
    Er fuhr sich mit der Hand durch das dünner werdende Haar, das er inzwischen immer sorgfältig über eine fast kahle Stelle am Hinterkopf kämmte. » Hör zu, ich weiß, dass du enttäuscht sein wirst, doch du hast ja die schlimmen Geschichten gehört. «
    Ich hielt den Atem an, weil ich mich vor dem fürchtete, was als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher