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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus
Autoren: Liz Trenow
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den Achtzigern aus der Mode gekommen? «
    » Sie sind wieder in « , sagt sie, schiebt die Kleiderhaufen und schwarzen Müllsäcke beiseite und setzt sich aufs Bett. Dann klopft sie auf die freie Stelle neben sich. » Du hast deinen Job gerne gemacht, oder? «
    » Ich glaube schon « , sage ich und lasse mich neben ihr nieder. » Allerdings habe ich nie wirklich darüber nachgedacht. Es war irgendwann ganz selbstverständlich, aber ich denke schon, dass ich meine Arbeit wirklich geliebt habe. « Und dann sage ich etwas, das Gwen, in schweren Zeiten meine engste Mitarbeiterin und Vertraute, einmal folgendermaßen ausgedrückt hat: » Es ist eine Art Alchemie, weißt du? Als würde man stumpfes Metall in Gold verwandeln. Nur noch besser, weil Seide so schöne Muster und Farben hat. «
    » Das ist ziemlich poetisch « , sagt Emily. » Dad redet nie so darüber. «
    » Das tat dein Großvater auch nicht « , antworte ich. » Männer können ihre Gefühle zumeist weniger gut ausdrücken. Außerdem neigt man dazu, selbst etwas so Wundervolles wie Seide als alltäglich hinzunehmen, wenn man ständig damit umgeht. «
    » Ist dir nie langweilig geworden? «
    Ich muss einen Augenblick überlegen. » Nein, ich glaube nicht. «
    » Du kamst mir nicht besonders glücklich vor, als ich dich neulich wegen der Fallschirmseide gefragt habe. «
    Ich wünschte, die Worte würden nicht so schmerzen und sich nicht wie ein Druck auf meine Seele legen. » Das liegt bloß daran, weil ich den Gedanken nicht ertrage, dass du aus einem Flugzeug springst, Liebes « , sage ich und versuche mich selbst und sie damit zu beschwichtigen.
    » Mir passiert schon nichts, Gran « , sagt sie leichthin. » Mach dir keine Sorgen. Wir planen auch noch andere Sachen, um Geld zusammenzukriegen. Wenn du beim Aufräumen deiner Schränke irgendetwas findest, was ich für unsere Onlineauktion gebrauchen könnte, wäre das toll. «
    » Du kannst dir nehmen, was du willst « , sage ich. Sie wendet sich wieder dem Kleiderschrank zu und kramt auf dem Boden herum.
    » Was ist das, Granma? « , ertönt ihre gedämpfte Stimme.
    » Ich weiß nicht, was du gefunden hast « , sage ich.
    Als sie den braunen Koffer herauszieht, macht mein Herz einen Sprung und beginnt wild zu klopfen. Das Leder ist abgenutzt und verschlissen, aber die geprägten Initialen auf dem Verschluss sind nach wie vor deutlich zu erkennen. S.H. Natürlich wusste ich, dass er dort war, doch während der letzten sechzig Jahre habe ich ihn nicht nur in den dunkelsten Ecken des Schranks versteckt, sondern auch in den letzten Winkel meines Gehirns geschoben. Obwohl ich die ganze Zeit über keinen Blick mehr darauf geworfen habe, überfallen mich sofort diese vertrauten Gefühle von Schuld und Gram und ergreifen machtvoll von mir Besitz.
    » Was ist da drin, Gran? « , fragt sie und macht sich ungeduldig an den Verschlüssen zu schaffen. » Die scheinen zu klemmen. «
    Er ist abgeschlossen. Zum Glück, denke ich – der Schlüssel liegt sicher in meinem Sekretär verwahrt. Irgendetwas in mir sträubt sich, den Koffer zu öffnen. » Bloß alte Papiere, wahrscheinlich Müll. « Ich bemühe mich, gleichmütig zu klingen, und bin doch wie benommen von dieser unerwarteten Entdeckung. Selbstverständlich kenne ich jedes einzelne Stück, das sich in dem alten Koffer befindet – es ist ein Bündel von Erinnerungen, die so intensiv und schmerzhaft sind, dass ich mich ihnen am liebsten nie wieder stellen möchte. Dennoch bringe ich es nicht über mich, ihn wegzuwerfen.
    Vielleicht hole ich ihn hervor, wenn Emily gegangen ist, um die quälenden Erinnerungen ein für alle Mal loszuwerden, denke ich. Ja, das werde ich tun. » Leg ihn wieder zurück in den Schrank, Liebes. Ich schaue ihn mir später an « , sage ich so ruhig wie möglich. » Sollen wir etwas zu Mittag essen? «
    Nach diesem Schock lässt mein Enthusiasmus fürs Aufräumen deutlich nach, und ich versuche mich auf anderes zu konzentrieren. Mir fällt ein, dass ich mal wieder in den Supermarkt zum Einkaufen müsste, und weil es angefangen hat zu regnen, suche ich im Schrank unter der Treppe nach meinem Regenmantel. Dabei fällt mir ein alter hölzerner Tennisschläger in die Hände. Er steckt in seiner Hülle, und als ich ihn herausziehe, sehe ich, dass die Flügelschrauben rostig sind. Mit der ausgeleierten Bespannung ließe sich kein Ball mehr schlagen, und der mit Leder umwickelte Griff ist ausgefranst und grau vor Schimmel.
    Trotzdem mache ich ein paar
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