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Das Känguru-Manifest

Das Känguru-Manifest

Titel: Das Känguru-Manifest
Autoren: Marc-Uwe Kling
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ihrer Umgebung handeln. Na klar. Und manche Banker behaupten, ihnen liege nichts am Geldverdienen, sie würden einfach gern mit Zahlen arbeiten.
    Das Känguru schlurft schlotternd ins Wohnzimmer.
    »Seit der Pinguin gegenüber eingezogen ist, ist es immer so kalt im Hausflur«, schimpft es und schlägt auf seinen Boxsack ein.
    »Du kannst ihn nur nicht leiden, weil er einen festen Job hat«, sage ich.
    Der Pinguin arbeitet als Vertreter für Tiefkühlkost.
    »Hast du gesehen, was der für riesige Klimaanlagen in seine Wohnung hat einbauen lassen? So groß wie in ’nem Flughafen«, sagt das Känguru. »Der kühlt seine Räume bestimmt auf null Grad runter. Scheiß-Gentrifizierer.«
    »Letztens hatte ich den Gedanken, dass jeder, der das Wort Gentrifizierung kennt, Teil derselben ist«, sage ich.
    »Irgendetwas ist verdammt fischig an diesem falschen Vogel«, sagt das Känguru. »Wenn wir wegen dem eine höhere Heizkostenabrechnung bekommen, geh ich aber rüber und werde ihm was erzählen.«
    »Ja?«, frage ich. »Was wirst du ihm denn erzählen? Einen Witz? Eine Gutenachtgeschichte? Einen Schwank aus deinem Leben? Vielleicht etwas aus deiner Zeit beim Vietcong?«
    »Huch!«, ruft das Känguru und springt zur Seite.
    »Was soll das?«
    »Na, fast wäre ich von deiner schlechten Laune überfahren worden.«
    »Die ist hart erarbeitet«, sage ich.
    »Ah ja?«, fragt das Känguru und legt sich in seine Hängematte.
    »Ja. Ich hab fünfzehn Mal auf der niedrigsten Schwierigkeitsstufe gegen mein Handy beim Tennisspielen verloren.«
    »Hast du nichts zu tun?«
    »Doch.«
    »Aha.«
    Unser Gespräch legt eine kleine Pause ein. Ich kontrolliere meine Fingernägel auf weiße Flecken. Am linken Ringfinger sind zwei neue. Verdammt.
    »Was hast du denn zu tun?«, fragt das Känguru.
    »Ich muss an meinem künstlerischen Durchbruch arbeiten«.
    »Du willst reich und berühmt werden?«
    »Das wäre alternativ auch okay.«
    »Arbeitest du da an deinem Manuskript über uns?«
    »Nein«, sage ich. »Ich sitze nur davor.«
    Das Känguru schwingt sich in seiner Hängematte Richtung Tisch, schnappt sich das Manuskript und blättert darin herum.
    »Ich glaube übrigens, du solltest dir keine allzu großen Hoffnungen machen und dich lieber weiter an der Drei-Ball-Jonglage zum Amelie-Soundtrack versuchen«, sagt es nach einer Weile.
    »Wenn ich das Buch nicht fertigkriege, geht uns bald das Geld aus«, sage ich.
    »Wenn man für ein paar Tage die Möbel umstellt, kann man ganz billig Urlaub machen«, sagt das Känguru. Es wirft das Manuskript wieder auf den Tisch. Ich ziehe mein Terrakotta-Jo-Jo aus der Hosentasche und lasse es rollen.
    Leise höre ich das Känguru in der Hängematte schnarchen. Am linken Daumennagel habe ich auch einen weißen Fleck. Was bedeuten diese Flecken noch mal? Calcium-Mangel? Magnesium-Mangel? Zink-Mangel? Oder zu viel Stress? Bestimmt zu viel Stress. Ist es am Ende des Tages nicht immer zu viel Stress?
    Punkt 18 Uhr knallt gegenüber die Tür. Das Känguru purzelt spektakulär aus seiner Hängematte, springt sofort wieder auf, bringt seine Fäuste in Verteidigungsstellung und ruft: »Wo? Wann? Was? Wie?«
    »Es ist 18 Uhr«, sage ich. »Der Pinguin ist nach Hause gekommen. Pünktlich wie immer.«
    Das Känguru inspiziert panisch seine Pfoten.
    »Ich hatte gerade einen Alptraum, in dem uns der Pinguin verfolgt hat«, sagt es. »Egal, wohin wir gehüpft sind, du warst auch ein Känguru, immer watschelte er uns hinterher. Wenn wir uns irgendwo niederließen, kam er um die Ecke gewatschelt, hat den Platz gekauft, saniert, teurer vermietet und dann wegen uns die Polizei gerufen. Den ganzen Traum ging das so. Doch irgendwann hatten wir ihn endlich abgehängt und einen Platz gefunden, wo wir bleiben konnten. Da hast du dich dann plötzlich in einen Pinguin verwandelt, und ich wollte mir meine Pfoten vor die Augen halten, aber es waren Flossen, und dann gab es einen Knall, und ich bin vor Schreck aufgewacht.«
    Das Känguru macht eine Pause.
    »Es war wie mit dem Hasen und dem Igel«, sagt es verstört.
    »Nur anders«, sage ich.
    »Ja. Ganz anders eigentlich.«
    Ich sammle die Blätter des Manuskriptes wieder ein, die das Känguru mit seiner Slapstick-Aktion vom Tisch gefegt hat.
    »Ich glaube übrigens, dass das halb so wild ist mit der Gentrifizierung«, sage ich. »Kreuzberg ist immer noch derselbe alte Arbeiterkiez.«
    »Ja, ja«, sagt das Känguru. »Und Sido hat nichts von seiner Street Credibility
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