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Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht
Autoren: Udo Scheu
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welchem eine Dekorateurin gerade einige leuchtend bunte TShirts auslegte. Das obenauf liegende rosa Top gefiel ihr ausgesprochen gut. Sie gestand sich ein, dass die Konsumwelt des Westens schon Besitz von ihr ergriffen hatte. Im Prinzip gefiel es ihr hier in Deutschland.
    Das galt allerdings nicht uneingeschränkt für die Menschen, mit denen sie Umgang hatte.
    Sie setzte ihren Weg fort. Fast wäre sie über einen Pappbecher gestolpert, den ein kleiner Romajunge vor sich hingestellt hatte. Der Junge saß auf dem Straßenpflaster und spielte in der Hoffnung auf ein paar Cents auf einer uralten Ziehharmonika immer wieder dieselbe unbekannte Melodie.
    Erschrocken sah sie zu ihm hin. Dabei glaubte sie für einen kurzen Moment, aus den Augenwinkeln eine Person gesehen zu haben, die sie verfolgte und beobachtete.
    Da war der Schatten eines Mantels, der ihr bekannt vorkam. Sie blickte sich um und meinte, dass sich die Person mit einer raschen Bewegung in den Eingang des hinter ihr liegenden Warenhauses zurückgezogen hatte, um nicht gesehen zu werden. Unschlüssig erwog sie, zu dem Ladengeschäft zu laufen und nachzusehen. Sie verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder, zumal sie in dem Gewühl ohnehin keine Chance mehr gesehen hatte, die Person noch einzuholen.
    Sie musste Opfer ihrer Einbildung geworden sein. Es gab keinen Grund, sie am helllichten Tag auf einer Einkaufsstraße zu verfolgen. Dennoch spürte sie ein Angstgefühl, wie sie es schon einmal erlebt hatte.
    Damals war sie in dem Kloster neben ihrem Schulheim durch ein Geräusch aus der Meditation gerissen worden. Ihr Blick war auf einen zwischen zwei Schränken stehenden Mann gefallen, der auf eine zwischen seinen nackten Füße platzierte Rasierklinge gestiert und sie dann plötzlich mit rollenden Augen fixiert hatte. Angsterfüllt war sie damals weggerannt, das Bild hatte sie aber noch nächtelang im Traum verfolgt.
    In der ersten Zeit wollte sie nie mehr nach Indien zurück. Doch was sie dann in Deutschland erwartet hatte, war noch viel schlimmer gewesen. Ihre Situation war ihr ohne Ausweg erschienen. So viele Tränen hatte sie vergossen, nächtelang ihr Gehirn gemartert.
    Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Suchend griff sie mit der linken Hand nach ihrem goldenen Halskettchen, an dem eine kleine Buddhafigur baumelte. Sie ergriff die Figur ganz fest und lenkte ihre Gedanken konzentriert auf diesen Vorgang. Ganz allmählich beruhigte sie sich wieder und ging schlurfend weiter.
    Nach wenigen Metern stand sie vor einer hoch aufragenden Glasfassade. In gelber Leuchtschrift blinkte der Name Zeilgalerie . Hier oben in der Cafébar war sie später verabredet. Sie kannte das Café noch nicht und beschloss, es sich anzusehen. Ohnedies blieb noch viel Zeit.
    Sunita betrat den mehrgeschossigen Bau und bewegte sich auf dem in einer Spirale nach oben führenden Weg zu den beiden gläsernen Fahrstühlen hin. Auf ihren Knopfdruck hin setzten sich die hinter den Glastüren befindlichen schwarzen Transportkabel in Bewegung und zogen den Fahrkorb aus einem der Obergeschosse nach unten ins Erdgeschoss.
    Sie stieg in den Fahrstuhl ein und drückte den Knopf für das achte Stockwerk. Die Türen schlossen sich. Die Ziffer 8 blinkte auf, doch der Fahrkorb bewegte sich nicht. Ratlos verharrte sie einen Augenblick. Dann drückte sie den Knopf für die siebente Einkaufsebene. Jetzt endlich fuhr der Fahrstuhl los. Von oben konnte sie in die wie Bienenwaben im Kreis angelegten einzelnen Läden schauen und sah die Kunden ameisengleich den stufenlosen Spiralweg wie auf einer Prozession entlangziehen.
    Der siebente Stock war fast noch menschenleer, die kleinen Geschäfte zumeist noch geschlossen. Sunita ging zu Fuß weiter bis zur achten Ebene, an deren Ende sich in einem Außenbogen eine schwach beleuchtete Cafébar befand. Sie blieb davor stehen, schaute durch die Glastür, konnte jedoch keinen Menschen sehen, nicht einmal eine Bedienung. Vorsichtig drückte sie gegen einen der Türflügel und stellte zufrieden fest, dass er nachgab.
    An dem rechtsseitig gelegenen Tresen entlang durchquerte sie rasch das Café und schaute sich dabei nach allen Seiten um, als hätte sie Angst, bei etwas Verbotenem erwischt zu werden. Sie erreichte eine weitere Glastür, die zur Außenterrasse führte.
    Aufgeregt ging sie nach draußen, quetschte sich durch die Bestuhlung von zwei winzigen Tischchen und lehnte sich auf das von drei horizontal angebrachten röhrenförmigen Eisenbändern gebildete Geländer. Es
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