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Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht
Autoren: Udo Scheu
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ablegte.
    Der achtfaltige Pfad , las Beuchert. Eine totale Verwirrung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Der Mut verließ ihn. Zu gerne hätte er sich diesem lebenden Fels anvertraut. Doch was nützte dies, wenn er nicht einmal den Inhalt seiner Rede und den Titel der überreichten Schrift verstand? »Danke, vielen Dank!«
    Bodhi Bhante bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass die Begegnung beendet sei. Aus dem Haus kam gleichzeitig ein weiterer Mönch, der auf Beuchert zuging. Er mochte um die vierzig Jahre alt sein und hatte die Gesichtszüge der nördlichen Bergvölker. Mit Beuchert sprach er im Flüsterton. »Mein Name ist Kassapa. Bitte folgen Sie mir. Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer.« Gemeinsam durchschritten sie den mit Palmen, Aurelien und blühendem Hibiskus bestandenen Klostergarten. Sie passierten eine alte säulengeschmückte Tempelanlage, von deren Galerie die vielfarbige buddhistische Fahne im lauen Abendwind wehte. Wenige Meter dahinter erreichten sie eine Treppe, die zu einer auf Stelzen gebauten Terrasse führte. An ihrer Seitenwand waren drei kleine steinerne Bauten aneinandergereiht.
    Kassapa öffnete die vorderste Tür. Sie traten in das Einzimmerappartement, das gerade Raum für ein Bett und einen Schreibtisch bot. Darauf standen eine Buddhafigur, eine kleine Glasvase mit frischen Blumen und ein Teller mit Obst. An der linken Wandseite war eine Nasszelle eingelassen.
    »Hier können Sie jetzt ausruhen und noch ein paar Früchte zu sich nehmen. Ihr Gepäck liegt neben dem Bett. Wir sehen uns morgen früh um 5:00 Uhr zu unserer Puja, unserer allmorgendlichen Gesangsund Meditationsfeier. Sie findet im großen Tempel an der östlichen Mauerseite statt. Im Anschluss daran sage ich Ihnen, wie es weitergeht.«
    Der Mönch zog sich unter einer Verbeugung mit dem Rücken zur Tür zurück. Beuchert war zu verblüfft, um zu antworten. Offenbar war es keine Frage, dass er sich als Gast den Gepflogenheiten des Klosters zu unterwerfen hatte.
    Er nahm sein Gepäck und legte es auf das Bett. Mit zittriger Hand griff er zu der Duty-free-Tüte und entnahm ihr eine Flasche Jack Daniels, die er auf dem Flughafen erstanden hatte. Er setzte sich vor den Schreibtisch und trank einen tiefen Schluck aus der Flasche.
    Nach dem dritten Whisky zog er sich aus, legte sich auf sein Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf. Vor den drei Hyänen, die ihn im Traum gerade erreicht hatten und an seinen Beinen hochspringen wollten, bewahrte ihn ein seltsames blechernes Geräusch, das ihn aus dem Schlaf riss. Zufällig konnte es nicht sein, da die Töne eine rhythmische Folge aufwiesen.
    Beuchert schaute auf seine Armbanduhr. 4:30 Uhr. Er benötigte eine Weile, bis er seinen Aufenthaltsort erkannte. Oberflächlich machte er Toilette und verließ den Raum.
    Den großen Tempel fand er auf Anhieb. Mehrere Marmorstufen führten ihn in eine große geflieste Halle, an deren Stirnseite ein goldener Buddha auf einem Altar thronte. Rechts und links umgab die Figur ein Meer von frischen Blumen und brennenden Kerzen. Beuchert nahm sich von einem in der Ecke liegenden Stapel ein Kissen und setzte sich nahe an den Ausgang.
    Mit dem Gesicht zu der Statue saßen die Mönche zu deren Füßen in langen parallelen Reihen. In der Mitte der ersten Reihe erkannte er Kassapa, der die Rolle des Vorsängers einnahm. Mit ihm stimmten die übrigen Mönche und die hinter ihnen sitzenden Kinder in die einfachen Melodien ein. Der Abt war nicht anwesend.
    Plötzlich erhoben sich die Mönche und die Kinder nach und nach und verließen den Tempel. Kassapa trat auf Beuchert zu.
    »Um sieben Uhr gibt es in dem großen dreistöckigen Gebäude neben dem Haus unseres Abtes ein Frühstück«, sagte er. »Der Speisesaal ist im Erdgeschoss.«
    Bevor Beuchert nach dem Zeitpunkt der geplanten Zugfahrt fragen konnte, war Kassapa verschwunden. Er ging zurück auf sein Zimmer und überlegte, ob er sich umziehen oder es bei der Tuchhose und dem weißen Hemd belassen sollte. Die steigenden Temperaturen nahmen ihm die Entscheidung ab. Er starrte aus dem Fenster und verspürte Angst.
    Als er den Frühstückssaal betrat, war er verwirrt. In langen Reihen standen die Kinder mit Blechgeschirr in den Händen vor einem Tisch, hinter dem zwei ältere Jungen aus einigen Blechtöpfen das Essen ausgaben. Mehrere Sorten buntes Gemüse, Reis und Tee. Die bereits abgefertigten Kinder setzten sich an die Längsseiten hölzerner Tische, aßen und flüsterten miteinander.
    Die Mönche
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