Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment
Autoren: Henri Loevenbruck
Vom Netzwerk:
Botschaft entdecken. Ich werde nie genau wissen können, ob sie wirklich von Jesus stammte, aber ich musste sie entziffern. Für Sophie. Für meinen alten Narr von Vater.
    Ich hielt inne und legte den Füller aus der Hand. Ich kaute an meiner Unterlippe.
    »Estelle«, sagte ich und wandte mich ihr zu. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn …«
    Ich brauchte meinen Satz nicht zu beenden. Sie begriff und lächelte mich an.
    »In Ordnung. Ich lass dich allein. Kein Problem. Ich geh runter!«
    Langsam verließ sie das Arbeitszimmer, rückwärts. Sie lächelte. Ihr Blick ermunterte mich durchzuhalten. Sie wusste wohl, dass ich allein sein wollte.
    Estelle war die beste Freundin, die ich mir überhaupt vorstellen konnte. Wie François kannte sie mich vermutlich besser als ich mich selbst. Auf jeden Fall liebte sie mich mehr als ich mich selbst. Behutsam schloss sie die Tür des Arbeitszimmers hinter sich.
    Ich war allein. Allein mit der Lösung des Rätsels. Ich wünschte mir so sehr, Sophie könnte hier sein. Aber ich musste es ohne sie tun. Und für sie.
    Da waren sie, die Griffe, um mich ans Leben zu klammern. Auf dieser Steintafel. Vor mir. Diese Botschaft, die nur noch gedeutet werden musste. Diese Botschaft, von deren Existenz die Presse nichts wusste. Diese Botschaft, die unsere Feinde nicht entschlüsseln konnten. Denn die beiden Teile des Puzzles waren immer noch nicht vereint. Es musste alles noch getan werden. Ich nickte, rückte mit meinem Stuhl langsam an den Schreibtisch und begann erneut die Buchstaben zu verschieben. Die Botschaft gehörte mir. Sie stand mir von Rechts wegen zu. Sie war das Erbe, das Sophie und mein Vater mir hinterlassen hatten.
    Ich verschob die Buchstaben nacheinander. Den Dritten. Den Vierten. Allmählich nahm die Botschaft unter meinen Augen Gestalt an. Ein Wort, ein zweites. Ein einfacher griechischer Satz. Vielleicht zweitausend Jahre alt. Die Botschaft Christi an die Menschheit.
    Das Evangelium.
    Die Lehre, die zu empfangen seine Zeitgenossen nicht würdig waren. Und wir? Heute? Waren wir denn würdig, zu hören, was dieser seltsame Mann uns lehren wollte? Hatten wir in den vergangenen zweitausend Jahren Fortschritte gemacht? Welcher Fortschritt lag in Sophies Tod? In den Verbrechen vom Bilderberg und von Acta Fidei? Waren wir wirklich würdiger als die Menschen, die Jesus ans Kreuz geschlagen hatten? Wie viele Menschen waren gestorben, um dieses Geheimnis zu bewahren, und wie viele, um es zu entdecken?
    Meine Finger zitterten. Mit der Spitze des Zeigefingers unterstrich ich den Text, den ich transkribiert hatte.
    Acht griechische Worte. Jesus sprach Aramäisch, aber seine Botschaft hatte er uns auf Griechisch übermittelt. In der Hochsprache. Der Gelehrtensprache. Ich hatte länger als zehn Jahre kein Griechisch mehr gelesen und las deshalb den Satz mehrere Male. Doch ich brauchte nicht lange, um am Ende die Botschaft zu verstehen.
    Sie war ganz schlicht. Keine religiöse Botschaft. Keine irrationale Offenbarung. Kein Dogma. Kein Gesetz. Kein Gebot. Eine einfache Bestätigung.
    Εν τω κοσμω εσμευ μουοι πα ωου τ ωζ γηζ
    Ich wiederholte den Satz lächelnd. En tô kosmo esmen monoi pantaxou tès gès . Im Kopf fasste ich den Satz in Worte von heute: Wir sind allein im Universum. Dreiunddreißig griechische Buchstaben, um uns ein so einfaches und dennoch wichtiges Geheimnis zu enthüllen.
    *
    Zwei Jahrtausende in einem Stein verborgen, das also war das absolute Wissen Christi. Die Erkenntnis, die ihn einmalig machte. Er wusste es. War es die Antwort auf unsere ewige Frage? War es das Geheimnis der Melancholie? Das Einzige, das wir nicht wissen können, wie gut auch immer wir die Wissenschaften und die Künste beherrschen. Woher sollten wir in einem unendlichen Universum erfahren, ob andere Lebewesen uns erwarteten? Wie sollten wir diese ewige Frage beantworten können? Jetzt begriff ich es. Die Erkenntnis, dass wir im Universum allein sind, ist das absolute Wissen. Aber wir Menschen sind nicht in der Lage, das unendliche Weltall zu erfassen, werden es nie sein, können die ewige Frage nach der Existenz anderer Lebewesen niemals beantworten.
    Ich weiß nicht, ob diese Botschaft authentisch ist. Woher soll ich es wissen? Auch wenn sie es ist, nichts könnte beweisen, dass Jesus Recht hatte. War er der erleuchtete Edle, der das Allwissen bekommen hatte?
    Aber heute habe ich begriffen, dass es nicht wichtig ist. Ob dieser Satz wahr ist oder nicht, er hat mein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher