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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment
Autoren: Henri Loevenbruck
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Zettel, auf dem ich den Code notiert hatte, in meine Tasche und ging zum Wagen.
    Während Badji mir half, meine kugelsichere Weste anzulegen, sah ich, wie Lucie mich musterte. Ich glaube, ich habe noch nie einen so intensiven Blick gesehen. Als ob sie versuchen würde, mir etwas zu übermitteln. Zweifellos ein wenig Mut. Ich blinzelte ihr zu, lächelte den Chevaliers zu und setzte mich neben meinen Bodyguard in den Safrane.
    *
    Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel Angst gehabt wie in den langen Minuten, die uns von dem Treffen trennten. Badji fuhr schneller als Sophie bei unserer Flucht aus Gordes. Aber er war ein Profi und ich hatte fast keine Furcht. Fast keine.
    Während der Fahrt versuchte er mich zu beruhigen. Offensichtlich hatte er die Zeit gefunden, mit seinen Kollegen einen Rettungsplan zu fassen. Er erklärte mir, dass er sich hinter einem Grab verstecken und eingreifen werde, wenn es nötig wurde.
    »Und Ihre Jungs?«, fragte ich besorgt.
    »Sie werden sie gar nicht sehen.«
    »Aber Sie haben nicht vor, Cowboy zu spielen, oder?«
    »Wenn alles glatt läuft, brauchen wir nicht einzugreifen. Wir sind in erster Linie da, um Sie zu beschützen.«
    Ich schluckte und ballte die Fäuste. Mir war kalt. Ich fühlte mich schwach, war völlig verkrampft.
    »Vor allem«, hatte er mir eingeprägt, »sagen Sie ihnen nicht, dass Sie den Stein nicht haben. Sagen Sie gar nichts. Halten Sie den Zettel mit dem Code in den Händen. Das wird sie ködern. Selbst wenn sie merken, dass es nicht der Stein ist, werden sie wissen wollen, was es damit auf sich hat.«
    »Ich hoffe, Sie haben Recht.«
    Die Lichter von Paris vermischten sich zu einem verschwommenen Bild, das an uns vorbeiglitt. Ich wusste nicht mehr, ob Badji mit mir redete. In Gedanken war ich anderswo. Ich hing meinen Erinnerungen an Sophie nach. Die letzten Minuten schienen mir wie eine Ewigkeit. Die letzten Meter.
    Kurz vor zehn Uhr erreichten wir den Friedhof im XX. Arrondissement. Der Père-Lachaise war in eine frühlingshafte Dämmerung getaucht. Hinter der langen Mauer, die den Friedhof umgab, waren ein paar Bäume in frischem Grün zu erkennen. Badji parkte den Wagen auf dem Boulevard Ménilmontant und öffnete mir die Tür. Ich saß noch immer hilflos auf dem Beifahrersitz. Unbeweglich. Dann, als ich merkte, dass die Tür bereits offen war, stieg ich aus. Die Straßenlampen tauchten den Gehweg in orangefarbenes Licht. Badji klopfte mir ermunternd auf die Schulter. Ich riss mich zusammen, war bereit. Also machten wir uns auf den Weg.
    Der Père-Lachaise ist eine Totenstadt, die sich auf einem breiten Hügel mit gepflasterten, von Kastanien und Linden gesäumten Wegen ausbreitet. Aber nachts war sie nur eine große dunkle Masse, in der sich die Schatten der Bäume mit denen der Gräber zu einem großen Furcht erregenden Fresko vermischten. Ich zitterte.
    Alle Eingänge waren seit langem geschlossen, und wir gingen die hohe Steinmauer entlang, bis wir zu einer kleinen Gasse gelangten, die zum Südteil des riesigen Friedhofs führte. Rue du Repos – Straße der Ruhe – hieß sie sinnigerweise. Dort würde es vielleicht eine Stelle geben, an der die Mauer niedriger war, oder an der wir einen dicht an der Mauer stehenden Laternenmast hochklettern konnten. Eines der Friedhofstore befand sich ganz in der Nähe, und wir mussten vorsichtig sein, denn dort stand ein Gebäude, das durchaus das Haus des Friedhofwärters sein konnte.
    Ich spürte wieder dieses seltsame Gefühl, das ich in der Nacht empfunden hatte, in der ich mit Sophie in das abgebrannte Haus meines Vaters eingedrungen war. Das Gefühl, ein Einbrecher zu sein. Ein ziemlich mittelmäßiger Einbrecher. Aber an diesem Abend hatte ich zehnmal so viel Angst. Die Angst bestimmte jede meiner Bewegungen.
    Der Bodyguard half mir hinauf. Ich klammerte mich an die Laterne. Ich presste mein linkes Knie gegen die Mauer. Durch die Hose spürte ich die raue Oberfläche. Ich fing an zu klettern. Gegen die Mauer gepresst, zog ich mich an der Straßenlaterne hoch, gelangte schließlich nach oben und kletterte langsam auf die andere Seite, wobei ich auf die Metallzacken achtete, die unerwünschte Besucher fernhalten sollten. Vorsichtig wandte ich mich um und streckte Badji die Hand entgegen. Aber er brauchte meine Hilfe nicht, sondern kletterte behände wie ein erfahrener Bergsteiger herauf.
    Ich sprang auf die andere Seite. Badji folgte mir und landete direkt neben mir in den Büschen. In die Dunkelheit der
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