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Deniz, die Lokomotive

Deniz, die Lokomotive

Titel: Deniz, die Lokomotive
Autoren: Joachim Masannek
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Der TSG Hertha 05 gegen Die Wilden Kerle e.W.
    Das Spiel war vorbei. Ich spürte den Luftzug. Dann donnerte die Tür der Umkleide ins Schloss, und das KASCHEPPERWUMS schnitt uns von der Außenwelt ab. Beim nächsten Herzschlag war es finster und still. So finster und still wie nach einem Kopfsprung in ein Fass Rübenkraut.
    Der Grund dafür war unser Trainer. Er hatte sich in die kleine Kabine gezwängt, und seine massige Zwei-Meter-Gestalt baute sich jetzt direkt vor uns auf. Sein Stiernacken stopfte sich in das Fenster der Umkleide wie ein Korken in eine Flasche und löschte das Oktobersonnenlicht aus, als wäre es ein Glühwürmchen am helllichten Tag.
    Ich, Deniz Sarzilmaz, der einzige Türke im Team, saß da und starrte auf meine Füße. Ja, in Augenblicken der Gefahr war das das Beste für mich. Meinen Füßen konnte ich immer vertrauen. Sie waren wie Eisenbahnschienen.

    Sie führten mich immer ans Ziel und heute war dieses Ziel das Tor der Wilden Fußballkerle gewesen. Am vierten Spieltag der Gruppe 8. Und so, wie wir, der TSG Hertha 05 , die ersten drei Spiele der Hinrunde durch meine Treffer gewonnen hatten, so, wie wir durch mich auf Meisterkurs waren, hatte ich auch das Tor der Wilden Kerle fünfmal erreicht.
    Fünfmal hatte ich mich bis zum Kasten der Schwarzen mit den knallorangen Stutzen durchgekämpft, und schon beim ersten Versuch stand ich allein vor dem Tor. Das könnt ihr mir glauben. Deshalb spielte ich auch nicht mehr ab. Es war niemand da außer mir. Ich konnte niemanden sehen! Oder doch? Beim fliegenden Orientteppich! Plötzlich wurde ich auf allen vier Seiten umstellt. Ja, viermal! Von einem einzigen Spieler! Von der Nummer 8. Juli, riefen sie ihn. Juli „Huckleberry“ Fort Knox, die Viererkette in einer Person. Trotzdem versuchte ich alles. Mit sturem Blick auf meine Füße dribbelte und drehte ich mich um mich herum, bis mir schwindelig wurde. Der Rasen unter mir vollführte einen astreinen Looping. Ich dotzte auf meinen Po. Das Leder war weg, und am Spielfeldrand pfiff und dampfte Friederich Böckmann, unser Trainer, wie eine Wasserpfeife auf einem Vulkan.
    „Ich kann es nicht fassen!“, raufte er sich den Haarkranz um seine puterrote Glatze. „Deniz! Du Türkendickschädel! Warum spielst du nicht einfach mal ab?!“
    Ich stierte in seine Richtung.
    „Abspielen? Verflixt! Seit wann besaß Böckmann Humor? Ich war allein vor dem Tor! Sollte ich mit mir selber Doppelpass spielen?“, grummelte ich, stand auf und rannte direkt in unseren Mittelstürmer hinein.
    „Du fette Kebab-ha-bude! Pass doch mal auf!“, schimpfte ich und hatte nicht die leiseste Ahnung, wo der so urplötzlich herkommen konnte.
    Beim zweiten Angriff machte ich dann alles viel besser. Zwanzig Meter Lokomotivenalleingang katapultierten mich bis zur Torauslinie des Gegners, und dort ließ ich mir diesmal nicht so viel Zeit. Aus sechs Metern zog ich ab. Ansatzlos und unhaltbar zischte der Ball auf das kurze Eck zu. Doch der Keeper der Schwarzen mit den knallorangen Stutzen fischte ihn mit dem linken Fuß von der Linie, als hätte ich ihm die Kugel nur zugerollt. Wow!, dachte ich und hörte, wie die Wilden Kerle ihrem Schlussmann zu dieser Tat gratulierten. Markus, nannten sie ihn, den Unbezwingbaren, und das schien kein bisschen übertrieben zu sein. Doch unser Trainer sah das ganz anders.
    „DEEHNIEEZ!“, spuckte Böckmann von der Seitenlinie auf das Feld, „DEEHNIEEZ! IIIICH ...!“
    Zu mehr kam er nicht mehr. Markus’ Fußabwehr landete nämlich bei der Nummer 10 der nachtschwarzen Wilden. Marlon hieß der, und genau dieser Marlon, die Nummer 10, pflückte den Ball mit dem Spann aus der Luft, als hätte man ihn mit Sekundenkleber besprüht, ließ seinen heranpreschenden Gegenspieler mit einem Hackentrick stehen und passte, ohne auch nur einmal zu schauen, hart und intuitiv nach rechts vorn.
    Dort schoss das Leder in die Tiefe des Nichts. Das dachten wir jedenfalls. Ja, das dachte sogar unser Trainer.
    „Nein! Nicht! Lasst ihn laufen! Der geht ins Aus!“, brüllte er in seinem lila Trainingsanzug und sah Luft schnappend zu, wie der unerreichbare Steilpass doch noch seinen Meister fand.
    Die Wilde 4 schloss nämlich zum Ball auf. Die Kugel schien plötzlich rückwärts zu rollen, so schnell war der Kerl, und dann, beim fliegenden Orientteppich, gab der schwarze Rechtsaußen erst richtig Gas. Uns blieb nur noch die Zeit, seinen Namen auf dem Rücken des Trikots zu lesen: Fabi, der schnellste Rechtsaußen der
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