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Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne
Autoren: Wilson Tucker
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weit in die Zukunft gereist, um in Joliet von der Chicagoer Mauer zu erfahren; er wäre nicht in diese trübselige Zukunft gereist, um katastrophale Zustände vorzufinden. Er hätte geruhsam weitergelebt, bis der Kampfeslärm auch in seinen Elfenbeinturm gedrungen wäre.
    Hier gab es nichts mehr zu tun. Chaney hatte seine Aufgabe erfüllt. Er konnte nur noch Seabrooke Bericht erstatten und vielleicht zuhören, während Washington informiert wurde. Der nächste Schritt hing von den Politikern und Bürokraten ab – sollten sie die Zukunft ändern, wenn sie es konnten!
    Seine Arbeit war getan. Er würde seinem Bericht den Titel Eschatos geben.
    Der gelbe Lehmhügel erregte seine Aufmerksamkeit, und er folgte der Wasserrinne durchs Gras, weil er die Zisterne fotografieren wollte. Er wunderte sich noch immer über dieses nabatäische Bauwerk im einundzwanzigsten Jahrhundert und hatte den Verdacht, daß Arthur Saltus dafür verantwortlich war: Der Korvettenkapitän hatte bei ihm einen Bildband über die Bauwerke der Nabatäer gesehen und ihn sich ausgeliehen. Die Zisterne schien dauerhaft zu sein und enthielt vermutlich etwa zehn Kor Wasser. Für einen Amateur hatte Saltus gute Arbeit geleistet.
    Chaney trat an das Grab.
    Er fotografierte es nicht, denn das Bild würde Fragen aufwerfen, die er nicht beantworten wollte. Seabrooke würde sich erkundigen, ob das Kreuz keine Inschrift getragen habe. Und Katrina würde mit Bleistift und Stenoblock danebensitzen, um Chaneys Antwort festzuhalten.
     
    A ditat Deus K
     
    Wer lag darunter: Arthur oder Katrina?
    Wie konnte er Katrina erzählen, daß er ihr Grab gefunden hatte? Oder das ihres Mannes? Warum war dies nicht Major Moresbys letzte Ruhestätte?
    Arthur oder Katrina?
    Brian Chaney kniete nieder, um den Grabhügel zu berühren, und bereitete sich in Gedanken auf die Rückreise vor. Er war zutiefst deprimiert.
    Hinter ihm sagte eine Stimme: »Bitte … Mr. Chaney?«
    Der Schock lähmte ihn zunächst. Er wollte sich nicht hastig umdrehen oder gar aufspringen, weil er fürchtete, der andere könnte aus Nervosität schießen. Er hielt sich ganz still – und dachte erst jetzt daran, daß sein Gewehr auf dem Karren lag. Vergeßlichkeit; Sorglosigkeit; Dummheit. Er starrte das Grabkreuz an.
    »Mr. Chaney?«
    Er wandte langsam den Kopf zur Seite, bis er das Paar hinter sich aus dem Augenwinkel heraus beobachten konnte.
    Zwei Fremde: zwei beinahe Fremde, zwei Menschen, die wie er unsicher und ängstlich waren.
    Der Mann trug eine Parka, blaue Drillichhosen und feste Stiefel aus dem unterirdischen Lagerraum. Er schien unbewaffnet zu sein und hatte nur ein Fernglas umhängen. Er war groß – nur wenige Zentimeter kleiner als Chaney – und hager, hatte dunkleres Haar als sein Vater und wirkte weniger lebhaft. Wäre er blonder, muskulöser und jünger gewesen, hätte Chaney geglaubt, Arthur Saltus vor sich zu haben.
    »Woher kennen Sie meinen Namen?«
    »Sie sind der einzige, der noch gefehlt hat, Sir.«
    »Und ich bin Ihnen beschrieben worden?«
    »Ja, Sir«, antwortete der Mann leise.
    Chaney drehte sich auf den Knien nach den beiden um. Er spürte, daß sie ihn nicht weniger fürchteten als er sie. Wann war zuletzt ein Fremder in der Station gewesen?
    »Sie heißen Saltus?«
    Ein Nicken. »Arthur Saltus.«
    Chaney sah zu der Frau hinüber, die zwei Meter hinter Arthur Saltus stand. Sie beobachtete ihn mit einer seltsamen Mischung aus Neugier und Angst und war offenbar darauf gefaßt, beim geringsten Anzeichen von Gefahr sofort zu fliehen.
    »Kathryn?« fragte Chaney.
    Sie gab keine Antwort, aber der Mann sagte: »Meine Schwester.«
    Die Tochter war das genaue Abbild ihrer Mutter. Sie hatte Katrinas Haarpracht und ihre schönen braunen Augen geerbt. Sie war klein und zierlich und verschwand fast in der großen Parka und den schweren Stiefeln, die sie wie ihr Bruder trug. Sie wirkte intelligent, lebhaft und flink. Aber sie wirkte auch älter als Katrina, wie Chaney sie in Erinnerung hatte.
    Er betrachtete die beiden: Bruder und Schwester waren um Jahre älter als die Menschen, die er in der Vergangenheit zurückgelassen hatte – viel älter, als ihre Eltern damals gewesen waren.
    »Wissen Sie das heutige Datum?« fragte er.
    »Nein, Sir.«
    Chaney zögerte. »Sie haben auf mich gewartet, glaube ich.«
    Arthur Saltus nickte, und die Frau bewegte kaum merklich den Kopf.
    »Mein Vater hat gesagt, daß Sie kommen würden – irgendwann. Er war davon überzeugt, daß Sie kommen
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