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Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne
Autoren: Wilson Tucker
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Zeitparadoxe zu beauftragen. Das ZVF holte sich die benötigte Energie aus seiner Gegenwart, nicht aus seiner Vergangenheit.
    Chaney griff nach oben, um die Luke zu verriegeln. Sie war verriegelt. Aber das grüne Blinklicht blieb dunkel. Chaney stemmte seine schweren Stiefel gegen die Querstange. Das rote Licht leuchtete nicht auf. Er wandte den Kopf zur Seite, um in den Kellerraum hinaussehen zu können. Die Laterne erhellte den Raum nur schwach.
    »Los, verdammt noch mal!« brüllte er und trat wieder gegen die Stange.
    Der Kellerraum blieb im Laternenschein.
     
    Chaney ging mit der Laterne in der Hand steif und langsam den Korridor entlang. Er war vor Angst noch immer benommen; daß das Fahrzeug sich trotz aller Bemühungen nicht bewegt hatte, war ein schwerer Schlag für ihn gewesen. Er wünschte sich verzweifelt, Katrina wäre in der Nähe und würde ihn mit einem Wort oder einer Geste wieder aufrichten. Aber sie war nirgends zu sehen. Sie hatte ihn verlassen, während er mit dem ZVF kämpfte. Vielleicht war sie in den Besprechungsraum zurückgegangen. Oder vielleicht war sie jetzt im Freien bei ihren Kindern.
    Er war allein und mußte allein mit seiner Angst fertig werden. Die Tür des Kontrollraums stand offen, die des Schutzraums ebenfalls, aber Katrina wartete weder hier noch dort auf ihn. Chaney lauschte vergebens auf irgendein Geräusch und ging dann weiter. Der staubige Korridor endete an der Treppe, über die er das Gebäude bei seiner Ankunft verlassen hatte.
    Die übermalte Warntafel schien ihn zu verspotten. Sie war nur eine der zahlreichen Ironien des Schicksals, die ihm begegnet waren, seitdem er Israel verlassen hatte. Er verfluchte den Tag, an dem er begonnen hatte, die Schriftrollen zu übersetzen. Aber er wünschte sich gleichzeitig, er wüßte den Namen jenes unbekannten Verfassers, der sich den Eschatos -Text zur Unterhaltung seiner Zeitgenossen ausgedacht hatte. Irgendein Name genügte schon: Malachi oder Arnos oder Josaphat.
    Chaney wollte ein Glas Wasser aus der nabatäischen Zisterne schöpfen und damit auf den Geist, den Witz und die Ironie des Unbekannten trinken. ›Auf dein Wohl, Arnos!‹ würde er ausrufen. ›Auf die Drachen, auf die Bresche im Zaun und auf das Eis in den Flüssen. Auf mein Haupt aus Gold, meine Brust aus Silber, meine Beine aus Eisen und meine Füße aus Ton. Auf meine tönernen Füße, Arnos!‹ Dabei würde er das Glas gegen das bewegungslose ZVF werfen.
    Chaney steckte seine beiden Schlüssel in das Doppelschloß, öffnete die Tür und trat in die kalte Nacht hinaus. Er sah überrascht, daß es schon dunkel war; er hatte nicht gemerkt, wie lange er mit Katrina im Laborgebäude gewesen war. Auf dem Parkplatz sah er nur den Karren mit seinem Gewehr. Katrina und ihre Kinder hatten nicht auf ihn gewartet – und das kränkte ihn.
    Die zweite Überraschung war der Himmel. Er hatte ihn tagsüber gesehen und bewundert, aber nachts war der Himmel atemberaubend schön. Die Sterne leuchteten so hell und klar wie sorgfältig polierte Edelsteine, und Chaney sah hundert oder tausend mehr am Himmel stehen als je zuvor. Im Osten wurde der Horizont von dem aufgehenden Mond erhellt, der Chaney ungewöhnlich leuchtend erschien.
    Chaney stand allein in der Mitte des Parkplatzes, sah zum Mond auf, suchte das Meer der Dämpfe auf seiner Oberfläche und fand schließlich Bodes Krater. Der pulsierende Laser war noch immer deutlich zu erkennen. Das war etwas, was sich nicht verändert hatte – das war ein Denkmal, das nicht gestürzt worden war. Der helle Lichtpunkt am Rand von Bodes Krater bezeichnete die Stelle, wo in den siebziger Jahren zwei Astronauten den Tod gefunden hatten; er war Grabmal und Erinnerung zugleich. Einer der beiden war ein Neger gewesen. Brian Chaney überlegte sich, daß er eigentlich noch Glück hatte: Er atmete die reine Luft der Erde, während die Astronauten an Luftmangel gestorben waren.
    »Du warst doch nicht so verdammt schlau, Arnos!« sagte er laut. »Das dort oben hast du nicht vorhergesagt – deine Propheten haben dir dieses neue Zeichen am Himmel nicht erklärt.«
    Chaney setzte sich auf den nach vorn gekippten Karren und streckte die Beine aus, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Das Gewehr drückte ihn unangenehm unter dem Rücken, und er warf es zu Boden. Nach einiger Zeit lehnte er sich nach hinten, so daß er auf der Ladefläche des Karrens lag. Jetzt hatte er den gesamten südöstlichen Sternenhimmel vor sich. Er dachte daran, daß er
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