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Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder?
Autoren: Jenny Lawson
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den Regen zurück. Vierzig Minuten später kam er mit einer kleinen nassen Schachtel wieder. Sein Blick sagte so viel wie: »Ab jetzt sperre ich deinen Computer, wenn ich ins Bett gehe.« Aber ich eilte nur zu ihm und bedeckte ihn mit Küssen, die er mürrisch entgegennahm, während er sich mit einem Handtuch abtrocknete.
    »Es lag vor dem verlassenen Haus am Ende der Straße«, sagte er. »Dort hat jemand offenbar die ganze Post abgeladen, die nicht richtig adressiert war. Auf der Veranda lagen um die fünfundzwanzig Päckchen.«
    Aber ich hörte ihn schon nicht mehr, so beschäftigt war ich damit, Hamlet von Schnitzel aus der wasserdichten Verpackung zu ziehen.
    »Du meine Güte«, stöhnte Victor. »Was ist denn das?« Allzu schwer war es nicht zu erraten: eine als Hamlet verkleidete Maus. An ihrer Shakespeareschen Halskrause war ein kleiner Samtumhang befestigt und sie schien mit dem ausgebleichten Mäuseschädel zu sprechen, den sie in der theatralisch ausgestreckten Pfote hielt. Ich streckte sie Victor hin und deklamierte: »Ach, der arme Yorick! Ich kannte ihn gut.«
    Victor musterte mich besorgt. »Du hast ein Problem.«
    »HABE ICH NICHT.«
    »Genau das sagen Leute, die Probleme haben. Probleme abzustreiten ist das erste Anzeichen dafür, dass man welche hat.«
    »Und dafür, dass man keine hat«, konterte ich. »Uneinsichtigkeit dürfte ziemlich sicher das zweite Anzeichen sein.«
    Ich stellte Hamlet von Schnitzel unter eine Glasglocke, um seine kleine Ohren vor Victors kränkenden Anschuldigungen zu schützen. Allerdings musste ich zugeben, dass ich meine neue Sucht nach bizarren ausgestopften Tieren selber nicht ganz verstand. Sie machte mir sogar ein wenig Angst. Was meinen Vater an toten Tieren so sehr faszinierte, war mir nach wie vor ein Rätsel, und ich kaufte selber nur welche, die schon sehr alt und eines natürlichen Todes gestorben waren. Spinnen und Geckos scheuchte ich weiterhin mit einer Zeitschrift aus dem Haus, begleitet von dem Hinweis, ein wenig frische Luft würde ihnen guttun. Ich betrachtete mich als Tierliebhaberin, die für Tierheime spendete und keine Pelze trug, doch stieß das mit einer anderen Seite meiner Persönlichkeit zusammen, die ständig in den verschiedensten Läden stöberte und nach Bibern in Präriekleidern oder Abendmahlsdioramen mit ausgestopften Ottern suchte. Victor hatte recht: Ich musste damit aufhören. Ich sagte mir also, dass ich nichts mehr kaufen würde, und nahm mir fest vor, nicht so zu werden wie mein Vater, der von den seelenlos starren Blicken toter Tiere umgeben war. Mit etwas Willenskraft würde ich meine sonderbare und schreckliche Leidenschaft schon in den Griff kriegen.

    APRIL 2011:
    Ich habe gerade einen fünfzig Jahre alten kubanischen Alligator in einem Piratenkostüm gekauft.
    Was aber überhaupt nicht meine Schuld ist. Victor ist in Mexico eine Treppe hinuntergestürzt und hat sich den Arm gebrochen, also habe ich ihn auf eine Geschäftsreise nach North Carolina begleitet, um ihm zu helfen. Die Reise verlief ohne besondere Zwischenfälle, bis wir auf dem Weg zum Flughafenin einem kleinen Laden Halt machten. Während Victor die Toilette benutzte, entdeckte ich ein schon ziemlich ramponiertes Alligatorbaby, das vollständig angezogen war und auf den Hinterbeinen stand. Es trug mottenzerfressene Kleider aus Filz, außerdem ein Barett und einen Gürtel. Eine Hand fehlte und es sollte neunzehn Dollar kosten. Der winzige Gürtel hing traurig nach unten und ein Alligator mit einem Gürtel nicht aus Alligator kam mir herrlich ironisch vor. Er hatte das Maul zu einem breiten Grinsen geöffnet, als habe er schon sehr lange auf mich gewartet. Ich dachte an meinen Vorsatz, keine ausgestopften Tiere mehr zu kaufen, und suchte fieberhaft nach Schlupflöchern, während Victor mich bereits in den Gängen zwischen den Regalen suchte. Ich überlegte, ob ich einen Riemen an die Schultern des Alligators tackern, ihm meinen Lippenstift ins Maul stecken und ihn zur Alligator-Handtasche deklarieren sollte, aber zu spät.
Und ich war ihm mit Haut und Haaren verfallen.

    Ich hörte Victor auf der anderen Seite des Regals näherkommen und streckte den kleinen Alligator ängstlich darüber. »Hallo,
mon ami!
Isch bin Jean-Louise«, sagte ich. »Isch bin noch nie mit dem Flugzeug geflogen und möschte das gerne einmal probieren!«
    »Ach ja?«, sagte die ältere Dame auf der anderen Seite verwirrt. »Na dann viel Glück.«
    Victor klopfte mir auf die Schulter und ich
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