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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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folgte eine Radierung, düsterer Blick, kantiger Unterkiefer, krauses Haar: »Beethoven.«
    Ein rundes Gesicht, glatt wie eine Melone, darin zwei Schlitzaugen. »Mao Tse-tung.«
    Weitere folgten, und Anna war überrascht, dass sie die Figuren so schnell erkannte: Michael Jackson, Mona Lisa, Albert Einstein... Wie leuchtende Bilder einer Laterna magica zogen die Porträts vor ihren Augen vorüber. Sie antwortete, ohne zu zögern, und ihr Unwohlsein ließ nach, bis sie beim Porträt eines etwa vierzigjährigen, jung wirkenden Mannes mit leichten Glubschaugen stockte. Er hatte blondes Haar und blonde Augenbrauen, was sein jugendlich-unentschlossenes Aussehen unterstrich.
    Die Angst durchflutete sie wie eine elektrische Welle, ein beißender Schmerz packte ihren Körper, denn diese Gesichtszüge weckten dunkle Erinnerungen. Dabei hätte sie weder einen Namen noch sonstige Anhaltspunkte seiner Identität nennen können. Ihr Gedächtnis glich einem dunklen Tunnel. Wo hatte sie dieses Gesicht bereits gesehen? Ein Schauspieler? Ein Sänger? Ein entfernter Bekannter?
    Kurz darauf erschien ein längliches Gesicht mit runder Nickelbrille, und sie stieß mit trockenem Mund den Namen »John Lennon« hervor, worauf Che Guevara erschien, doch statt zu antworten, sagte Anna: »Eric, warte mal.«
    Das Karussell drehte sich weiter, und während ein Selbstbildnis van Goghs in leuchtenden Farben vor ihren Augen erstrahlte, griff Anna nach dem Schaft des Mikrofons: »Eric, bitte, lass das.«
    Das Bild blieb stehen, und Anna spürte, wie sich dessen warme Farben auf ihrer Haut spiegelten. Nach einer Pause fragte Ackermann: »Was?«
    »Wer war der Mann, den ich nicht erkannt habe?«
    Keine Antwort, stattdessen zitterten David Bowies verschiedenfarbige Augen über den Spiegel, während sie sich aufzurichten versuchte und gereizt nachfragte: »Eric, ich habe dich was gefragt: Wer war es?«
    Keine Antwort.
    Das Licht im Spiegel erlosch, blitzschnell gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Statt der Gesichter erahnte Anna auf dem schräg angebrachten Rechteck ihr eigenes blasses, knochiges Bild. Das Gesicht einer Toten.
    Schließlich antwortete der Arzt: »Es war Laurent, Anna. Laurent Heymes, dein Ehemann.«

Kapitel 2
     
    »Seit wann leidest du unter diesen Gedächtnisstörungen?«
    Anna antwortete nicht. Es war beinahe zwölf Uhr mittags, und den ganzen Vormittag hatte sie Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen - eine Computer-Tomografie, Röntgenbilder, eine Magnetresonanz-Tomografie und schließlich die Tests in dieser zylinderförmigen Maschine... Sie fühlte sich ausgelaugt, erschöpft, verloren, und in diesem engen, fensterlosen, grell ausgeleuchteten Büroraum mit stapelweise in Stahlblechschränken oder auf dem Boden verteilten Ordnern wurde es auch nicht besser. An den Wänden hingen Grafiken mit freigelegten Gehirnen, man blickte auf rasierte Schädel mit punktierten Linien, wie angesägt. Das hatte ihr gerade noch gefehlt...
    Eric Ackermann fragte erneut: »Seit wann, Anna?«
    »Seit über einem Monat.«
    »Ich will es genau wissen. Du kannst dich doch sicher an das erste Mal erinnern.«
    Natürlich erinnerte sie sich, wie hätte sie es vergessen können?
    »Es war am vierten Februar. Morgens. Ich kam gerade aus dem Badezimmer. Auf dem Flur begegnete ich Laurent, der gerade zur Arbeit gehen wollte. Er lächelte mich an, und ich erschrak furchtbar, denn ich erkannte ihn nicht.«
    »Überhaupt nicht?«
    »Im ersten Augenblick nicht. Dann aber ordnete sich alles wieder in meinem Kopf.«
    »Beschreib mir genau, was du in diesem Moment empfunden hast.«
    Sie zuckte mit den Schultern, eine Geste der Unentschlossenheit unter ihrem schwarz-braunroten Schal. »Es war eine seltsame, flüchtige Empfindung, eine Art Déjà-vu. Dieses Unwohlsein dauerte nur eine Sekunde«, sie schnippte mit den Fingern, »dann fühlte sich alles wieder normal an.«
    »Was hast du in diesem Augenblick gedacht?«
    »Ich habe gedacht, es kommt von der Müdigkeit.«
    Ackermann schrieb etwas auf einen Block, der vor ihm lag, und fuhr fort: »Hast du an diesem Morgen mit Laurent darüber gesprochen?«
    »Nein, ich fand es nicht weiter schlimm.«
    »Und wann hattest du die zweite Krise dieser Art?«
    »In der Woche danach. Da passierte es mehrmals, Schlag auf Schlag.«
    »Und es hatte immer mit Laurent zu tun?«
    »Ja, immer.«
    »Und jedes Mal hast du ihn am Ende wieder erkannt?«
    »Ja, aber je mehr Tage vergingen, desto später... ich weiß
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