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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus
Autoren: Roger Willemsen
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Vokabular. Da unten ist der Marktplatz mit seinem Geschrei und Gewusel. Nur wir hier oben, das Volk, wir sind diszipliniert, flüstern allenfalls, rufen nicht rein, klatschen nicht, telefonieren schon gar nicht. Sitzen wir nicht wie in der Oper? Sind wir nicht feierlicher als das Parlament? Sind wir es nicht, die dem Hohen Haus seine Höhe verleihen und aus dieser Höhe gerade hinabsehen auf unsere Vertreter, die wir mit dem Kostbarsten ausstatteten, das wir zu vergeben haben: Volkes Wille, unser Wille?

Donnerstag, 19 . Dezember, 10  Uhr
    Die Demonstrationen in der Ukraine gehen weiter. Der Vater eines der mutmaßlichen NSU -Mörder beleidigt den Richter im Prozess als »Kleinen Klugsch…«. Boris Becker wird der Trainer von Novak Ðjoković.
    Ein zu allem entschlossener Winterhimmel breitet sich tief bewölkt und frostig über Berlin. Die Straßen liegen noch leer, die Rührseligkeit der Weihnachtsinszenierung erreicht jeden Winkel des städtischen Lebens.
    Um zehn Minuten verspätet sich der Debattenbeginn. Die SPD hat ihre vorhergehende Fraktionssitzung nicht früher beenden können, auch das erstmalig in diesem Jahr. Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eröffnet heute den Parlamentstag. Ihr »Guten Morgen« wird von der SPD -Fraktion mit einem chorischen »Guten Morgen« beantwortet. Es ist die letzte Sitzung vor Semesterende, so die Stimmung. Auch wenn das Haus gut besetzt ist, bleibt die Regierungsbank fast leer, die bekannten Köpfe der Parteien fehlen in jeder Fraktion.
    Zunächst versucht sich die Linke an einem Geschäftsordnungsantrag zur Verschiebung der Wahl der Datenschutzbeauftragten. Unter dem Eindruck der Snowden-Enthüllungen wünscht man sich eine unabhängige Person, eine parteilose vielleicht, die nach allem, was man zuletzt erlebte, besser nicht dem Innenministerium zugeordnet sein sollte. Die jetzige Kandidatin Andrea Voßhoff, so wird eingewendet, habe bei aller Integrität der Person in der Vergangenheit auch für das Abwiegeln in der NSA -Affäre, für Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung gestanden.
    Mit Michael Grosse-Brömer ( CDU / CSU ) antwortet ausgerechnet einer, der sich, wie die beiden ehemaligen Minister Friedrich und Pofalla, immer durch Beschwichtigungen und Bagatellisierungen hervorgetan hatte, dafür aber den traurigen Mut besitzt, die Linke als » SED -Rechtsnachfolgerin« zur Zurückhaltung aufzufordern. Doch auch die Grünen bekennen, dass ihnen »der Personalvorschlag, der hier vorgelegt wird, nicht passt«. Dass sie sich der Personalie trotzdem nicht widersetzen, sei einzig der Tatsache geschuldet, dass man eine Datenschutzbeauftragte sofort brauche, nachdem der renommierte Vorgänger Peter Schaar von Minister Friedrich recht würdelos entsorgt worden sei. Die designierte Datenschutzbeauftragte sitzt derweil auf der Pressetribüne und wird fotografiert, die Abstimmung erwartend.
    Bis dahin aber widmet man sich zunächst den Ausschüssen und Unterausschüssen, ihrer Zusammensetzung und Stärke, sowie den Minderheitsrechten der Oppositionsparteien. Deren Applaus wirkt nur noch tapfer. 22 ständige Ausschüsse gab es und wird es geben, einer für Netzpolitik kommt hinzu. Ohne es offenbar recht zu merken, sagen die Vertreterinnen und Vertreter der Regierungskoalition jetzt gern: Wir setzen ein, wird es geben etc. Man muss also nicht einmal mehr so tun, als hingen Entscheidungen von Debatten und Abstimmungen ab. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zu der Frage: Warum erscheint die Opposition überhaupt im Parlament? Um die Zuhörerschaft an gute, aber übergangene Argumente zu erinnern?
    Im Augenblick aber muss erst einmal der Hauptausschuss aufgelöst werden, damit die neuen Ausschüsse arbeiten können. Auf die ketzerische Zwischenfrage von Volker Beck (B  90 / DIE GRÜNEN ), der Redner der CDU / CSU möge doch kurz einmal die Arbeitsresultate dieses Ausschusses referieren, referiert der nichts, sondern verweist auf zugesandte Drucksachen. Das Gelächter ist höhnisch. Die Schulklassen, die eben die Tribünen verlassen, haben nur Formsachen beobachtet, gefolgt vom Durchwinken von Tagesordnungspunkten ohne Beratung, die Überweisung an Ausschüsse und andere Eilverfahren.
    Es gibt jetzt so etwas wie eine gestaute Energie im Raum, als wollten die neuen Abgeordneten, auch die neu in Funktion gebrachten, arbeiten, aktiv werden, »gestalten«. Ich dagegen fühle mich plötzlich müde, erschöpft, die Reden dringen kaum mehr durch, auch die Kameraleute lesen oder
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