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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus
Autoren: Roger Willemsen
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dämmern hinter ihren Geräten. Und doch geschieht um uns herum plausible politische Arbeit, sind doch die Verfahren des Parlaments Inbegriff der Rechtsansprüche des Einzelnen an den Staat, und diese verlangen nach soliden Fundamenten.
    Wo aber die großen Themen erscheinen, etwa, wo es um Rentenbeiträge, um drohende Altersarmut geht, ist die Ausstellung des Vergeblichen manchmal geradezu monumental. Geht etwa jemand an das Pult und beklagt die immer noch ausstehende vollständige Gleichstellung der Renten in Ost und West, kann man verfolgen, wie das Richtige und Zutreffende L’art pour l’art wird, weil jedem Gedanken die Wucht der Mehrheitsfähigkeit fehlt. Nach einer guten und kämpferischen Rede, in der sie beklagt, dass die sogenannte Mütterrente aus der Rentenkasse bezahlt werden solle, kann Kerstin Andreae (B  90 / DIE GRÜNEN ) zuletzt bloß zornig ihr Blatt falten, als geschehe es zur Verlängerung ihrer Argumentation, kann nur ungestüm das Glas an sich raffen zur Versinnbildlichung ihrer Empörung. Übergangen wird sie trotzdem.
    Mit in den Nacken gelegtem Kopf lasse ich noch einmal den Raum auf mich wirken: Der Repräsentationsgedanke ist groß. Die Säulen zitieren auch ihn. Und auch die Repräsentanten lassen manchmal die Herkunft ihrer Gedanken aus alten Idealen noch fühlen. Vertreter der »politischen Kaste« nennen wir sie, und auserwählt dürfen sie sich fühlen, sich heute noch mit dem Rentenrecht, mit der gleichgeschlechtlichen Liebe, mit Kinderkrippen oder der Beendigung des NATO -Bündnisfalls beschäftigen. Sie dürfen, müssen vielleicht sogar mit dem Nimbus der verantwortungsbewussten Gestalter des Landes auftreten, dürfen die Privilegien der Verantwortung ernten. Kein Wunder, dass in der öffentlichen Ikonographie außer dem Star auch irgendwann der in die Menge winkende Politiker auftaucht, der sich für die Gestaltung der Welt gefeiert glaubt.
    Gerade zwängt sich eine gut Siebzigjährige mit lila Kopftuch in die Sitzreihe auf der Nachbartribüne. Auf ihrem pinkfarbenen Sweatshirt ist in Pailletten der handschriftlich beschwingte Schriftzug zu lesen: Love is in the Air. Als nächsten Punkt auf der Tagesordnung ruft Ulla Schmidt auf: Die erste Beratung des Entwurfs eines »Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts«. »Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38  Minuten vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.«
    Der Gang des ersten Redners zum Pult ist ein erster Gang, er fällt so ungestüm aus wie bedeutungsvoll. Harald Petzold, der für die den Antrag stellende Fraktion der Linken seine sogenannte Jungfernrede hält, brennt für sein Thema: »Deswegen habe ich mich entschlossen, meine erste Rede hier in diesem Hohen Hause nicht leise, brav und diplomatisch zu halten, sondern gleich in die Vollen zu gehen, weil ich genauso wie die vielen Tausend, denen ich hier eine Stimme geben will, enttäuscht darüber bin, dass wir wieder nur vertröstet und hingehalten werden und es keine hundertprozentige Gleichstellung gibt.«
    Der Mann kommt aus der Kampagnenarbeit, hat auf dem Brandenburger Land Aufklärungstouren organisiert, hat Diskriminierung, Ungleichbehandlung, Demonstrationen in Polen, hat auch Gewalt und Steinwürfe erlebt und dabei Bundesverfassungsgerichtsurteile im Kopf behalten, die seit 2002 als Refrain anstimmen: »Stellt endlich gleich!« Seine Rede ist ein flammendes Plädoyer dafür, diesem Auftrag nachzukommen, die Diskriminierung nicht zu unterschätzen, und jede Nicht-Gleichstellung ist Diskriminierung, da ist man sich einig: »Meine Damen und Herren, kommen Sie endlich in der Lebenswirklichkeit an, und folgen Sie dem Beispiel von vielen Ländern in der Welt: von unseren europäischen Partnern wie Dänemark, Belgien, Niederlande, Frankreich, sogar dem konservativen Großbritannien, von lateinamerikanischen Ländern wie Argentinien und Uruguay, vom Südafrika Nelson Mandelas bis hin zu einzelnen Bundesstaaten in den USA ! Folgen wir diesem Beispiel endlich!«
    Dass eine Gleichstellung in diesem Verständnis nicht nur eine von homosexuellen Lebenspartnern und -partnerinnen, sondern auch eine der Lebenspartnerschaft mit der Ehe bedeuten muss, wird durch die CDU / CSU bestritten, ja, bekämpft. Volker Beck (B  90 / DIE GRÜNEN ) wird später sogar 28  Gesetze nennen, die noch geändert werden müssen, um den Gleichstellungsgedanken zu verwirklichen: »Das geht vom
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