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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus
Autoren: Roger Willemsen
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Bundeskindergeldgesetz über das Versammlungsrecht über das Sprengstoffgesetz über Approbationsordnungen für Ärzte bis hin zur Höfeordnung, einer Sonderrechtsregelung im Erbrecht.« Im Augenblick aber ist hier ein junger, für seine Sache streitender Abgeordneter, der dem Ideal des Politikers entspricht, der es bis ins Parlament schafft, um eine ganz bestimmte Sache zu ändern, und der seiner ersten Rede einen geradezu rührend bescheidenen Schluss gibt: »Denken Sie nach diesem Redebeitrag nicht schlecht von mir, nur weil ich in meiner ersten Rede gleich Tacheles geredet habe. Manchmal muss man auch gegen die Tischmanieren verstoßen.«
    Er ist neu. In wenigen Wochen wird er wissen, was in diesem Hause Tischmanieren, was Verstöße sind. Noch aber dringen aus seiner Fraktion immer mehr Gratulanten an seinen Platz und sagen ihm, dass er gut war. Die CDU / CSU wird dagegen aufwenden, dass die Ehe Bestandteil der Verfassung sei, man also schon eine Verfassungsänderung durchsetzen müsse, wenn die Rechte der Ehe auf andere Lebenspartnerschaften ausgedehnt würden. Dahinter steht die hartnäckige Weigerung, den gesellschaftlichen Wandel in Belangen der Ehe, die Meinungsumfragen, die Gesetze der europäischen Nachbarn und selbst das Drängen der Gerichte wirklich ernst zu nehmen, und weil das so ist, kann Thomas Silberhorn ( CDU / CSU ) selbstbewusst mit den Worten enden: »Daher lautet unsere Weihnachtsbotschaft für Eheleute und Familien: Sie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes und der CDU / CSU .« Das bedeutet, die Lebenspartnerschaften der Homosexuellen tun es nicht.
    In der Folge setzen alle Redner ihre Pointen. Volker Beck (B  90 / DIE GRÜNEN ) öffnet seine Arme weit in Richtung der SPD und appelliert: »Da erwarte ich jetzt Applaus von Ihnen.« Er macht den Einheizer, aber er hat recht, denn was er sagt, stammt noch aus der Masse gemeinsamer Überzeugungen, und die SPD -Fraktion gehorcht zögerlich. Johannes Kahrs ( SPD ) setzt sich denn auch in Opposition zu Thomas Silberhorn und »diesem von uns neuerdings geschätzten Koalitionspartner«. Elisabeth Winkelmeier-Becker ( CDU / CSU ) bemüht den »Kodex Ur-Nammu von 2100 vor Christus« und den »Kodex Hammurabi aus dem 18 . Jahrhundert vor Christus«, um zu belegen, dass Regelungen, die die Ehe betreffen, alt sind und offenbar noch nichts von homosexuellen Lebenspartnerschaften – aber auch noch nicht von der CDU  – wussten. Die Parlamentarierin kommt jedenfalls beim Schutz der Ehe vor einer Gleichstellung mit der Lebenspartnerschaft an.
    Schließlich dringt eine gute Intervention darauf, aus dieser Frage einen Gewissensentscheid zu machen und die Abstimmung freizugeben. Winkelmeier-Becker aber fischt immer noch durch Wikipedia und verlängert ihre historische Lehrstunde. Bisweilen ist das so: Die Themen sind groß, die Rede von ihnen ist es nicht. Das lässt die Themen allenfalls noch größer erscheinen. Denn bei dieser Frage handelt es sich doch um eine, in der sich die Welt gerade verändert, und was ist Politik anders als eine dauernde Anpassungsleistung an neue soziale Verhältnisse, veränderte Lebensentwürfe, höhere Effizienz, mehr Gifte, engere Räume, mehr Alte, knappe Ressourcen, neue Migrationen und so fort?
    Man kann alle diese Veränderungen verfolgen, die Lebensformen suchen, die sie beantworten. In der Politik hat sich irgendwann bei den meisten Fragen ein Vorrang des Strategischen durchgesetzt, in dessen Schatten sich alles andere bewegt. Man siegt nicht durch Einfühlung, sondern durch Kalkül und Technik. Falsch also die Vorstellung, ein Politiker verließe am Ende das Hohe Haus und habe primär etwas »für die Menschen« erreicht oder verloren. Es gibt sicher die Überzeugten in allen Parteien, auf allen Feldern, auf den vorderen wie auf den hinteren Bänken. Es gibt jene, die es gut meinen und die falschen Mittel haben, jene, die dauernd Brücken suchen zum Witz, zur Beleidigung, zum Schulterschluss. Es gibt die von der eigenen Fraktion Marginalisierten, die Übersehenen und Übergangenen, die Geparkten und jene, die gerade kapitulieren und erlöschen.
    Während inzwischen die Stimmen zur Wahl der Datenschutzbeauftragten ausgezählt werden, geht es erst einmal weiter mit anderen Tagesordnungspunkten. Unterdessen herrscht da unten gelöste Stimmung, anschwellendes Murmeln, man konferiert in Grüppchen. Dabei hat Diana Golze ( DIE LINKE ) eben tapfer begonnen, den »Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des
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