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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus
Autoren: Roger Willemsen
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Betreuungsgeldgesetzes« gegen all den Lärm zu begründen. Der Präsident bittet zweimal erfolglos um Ruhe, dann schüttelt er die Glocke, so dass erst einmal die Rednerin zusammenzuckt und sagt: »Oh, das habe ich auch noch nicht erlebt; eine Premiere.«
    Anschließend filetiert Golze, was sie die »Kapitulationserklärung« der SPD beim Betreuungsgeld nennt, referiert alte Überzeugungen der Sozialdemokraten im synoptischen Vergleich mit den neuen, schwammigen Formulierungen aus dem Koalitionsvertrag, deckt sozialdemokratische Selbstwidersprüche auf, fragt nach dem Kuhhandel, der zu dieser Lösung geführt habe, die kein Kompromiss, die eine Niederlage sei. Die Erklärung wird für die SPD nicht leichter dadurch, dass die neue Ministerin Manuela Schwesig der ersten Debatte, die sie direkt betrifft, lieber ferngeblieben ist. »Ich kann mir vorstellen«, sagt Golze, »dass es für eine frischgebackene Bundesministerin ein schöneres Thema für ihre erste Debatte gegeben hätte. Vielleicht hat das zu ihrer Entscheidung beigetragen, dass sie heute nicht hier sein kann.«
    So bleibt das Abstruse der Situation, die den Selbstbetrug dieser neuen Regierungspartei streift, unkommentiert und unaufgelöst: Er liegt eben darin, dass eine Ministerin jetzt genau die Politik durchsetzen muss, gegen die sie im Wahlkampf auf Stimmenfang gegangen ist, und dass die Milliarden, die in den Kita-Ausbau fließen müssten, gegen sozialdemokratische Überzeugungen nun auf Horst Seehofers Prestigeobjekt »Betreuungsgeld« verwendet werden. Es bleibt der Rednerin also nur das triftige, aber aussichtlose: »Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen, die dieses Betreuungsgeld immer abgelehnt haben, auf, das zu tun, was sie vor der Wahl versprochen haben: Schaffen Sie es ab!«
    Immer dort, wo in parlamentarischen Reden echte Überzeugung frei wird, erscheint sie unpraktisch, auch nicht recht kalkulierbar. Alles andere ist taktisch verhandelbar. In der Gesinnung aber radikalisieren sich Persönlichkeitsprofile. Plötzlich ragen sie unbequem in die diplomatischen Diskurse, und es bekommt etwas geradezu Unprofessionelles, eine Haltung zu haben und sie wichtig zu nehmen.
    Es gilt aber für sämtliche Reden in diesem Umfeld auch: Sie simulieren eine Beteiligung an Entscheidungsprozessen, die längst abgeschlossen sind und es unter den bestehenden Mehrheitsverhältnissen auch bleiben – ein Umstand, den Dorothee Bär ( CDU / CSU ) geradezu höhnisch gegen Golze in Stellung bringt, indem sie ihr mitteilt, dass sie »auf absolut aussichtlosem Posten« sei, dass es »nichts bringt, wenn man immer nur gegen die Betonwand rennt«, dass sie »nervende Schaufensterpolitik« mache, wenn nicht Schlimmeres: »Das Wort, das ich eigentlich sagen möchte, darf ich nicht sagen, sonst rüffelt mich mein eigener Präsident.«
    Ich habe in anderen Reden gehört, wie diese Rednerin als »begabt« bezeichnet wurde. Was ich sehe, ist eine junge Frau mit Verwöhnungsschaden und faszinierender Attitüde, forsch bis zur Herablassung, substanzschwach, dafür selbstverliebt und mit einer strohfeuerartigen Wärme, die sie in jedem Beitrag irgendjemandem danken lässt. Heute aber widmet sie ihre Rede allen Ernstes, nein, nicht »Dem Deutschen Volke«, sondern Norbert Geis: »Lieber Norbert, wenn du heute zuschaust: Diese Rede ist auch für dich.« So sprechen Oscar-Gewinnerinnen zu ihren Eltern. Außerdem fallen ihr die Sachbearbeiter ein, die in ihrer Region die Anträge auf Betreuungsgeld bearbeiten, was sie zu den Sätzen inspiriert: »Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle – das muss gestattet sein – auch einmal ganz herzlich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Bayreuth und Würzburg bedanken, die diese Anträge für ganz Bayern bearbeiten.«
    Dieser Typus ist neu: Die ganze Aufmerksamkeit der Rednerin ist auf die Vermittlung gerichtet und diese entsprechend effekthascherisch. Sie arbeitet also weniger am Thema als an der gelenkten Rezeption des Themas und treibt so die Auflösung der Politik in Public Relations voran – auch dies eine voraussichtliche Entwicklungslinie der künftigen parlamentarischen Kultur. Als staune auch sie, wendet Diana Golze nicht den Blick von der Rednerin, die sogar der SPD dankt für Kompromisse, die man gemacht habe – vielleicht auch für das Zugeständnis, auf den Begriff und das Thema Kinderarmut im Koalitionsvertrag ganz zu verzichten? Dann nimmt die Datenschutzbeauftragte auf der Tribüne erst das
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