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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem
Autoren: Katherine Howe
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großväterlicher Duft.

    Chilton wurde von drei weiteren angesehenen Professoren in amerikanischer Geschichte flankiert. Zu seiner Linken hockte Professor Larry Smith, ein noch jüngerer, aber stets verkniffen dreinblickender, in Tweed gekleideter wissenschaftlicher Assistent am Institut für Wirtschaftsgeschichte, der gerne verzwickte Fragen stellte, um den älteren Professoren seine Autorität und Fachkenntnisse unter Beweis zu stellen. Connie blickte ihn finster an; bereits zweimal in der Prüfung hatte er ihr absichtlich Fragen zu Themen gestellt, in denen ihr Wissen lückenhaft war. Vermutlich gehörte das zu seinem Job, aber wahrscheinlich war er auch das einzige Mitglied des Gremiums, das sich noch an seine eigenen Abschlussprüfungen erinnern konnte. Vielleicht war es naiv von ihr gewesen, auf seine Solidarität zu hoffen; oft war das Lehrpersonal auf seiner Ebene besonders unerbittlich bei den Prüflingen, als wolle man sich für die (vermeintlich) erlittenen Demütigungen rächen. Er lächelte ihr steif zu.
    Zur Rechten von Chilton, das Kinn auf eine juwelengeschmückte Hand gestützt, saß Professorin Janine Silva, eine etwas schlampige, erst vor Kurzem mit einem Lehrstuhl versehene Spezialistin für Geschlechterforschung, die sich schwerpunktmäßig mit feministischer Theorie auseinandersetzte. Ihr Haar war heute wilder und welliger denn je und hatte einen burgunderfarbenen Ton, dem man schon meilenweit seine Herkunft aus der Drogerie ansah. Connie mochte Janines bewusste Abkehr von den ästhetischen Grundsätzen Harvards; lange Schals mit Blumenmuster waren ihr Markenzeichen. Besonders gern schimpfte Janine über die relative Feindseligkeit gegenüber Akademikerinnen, die an ihrer Alma Mater herrschte; ihr Interesse an Connies Karriere grenzte manchmal an Mütterlichkeit, ein Grund, warum Connie bewusst daran arbeitete, gegen die pseudofamiliären Transferhandlungen anzusteuern, die viele Studenten bezüglich
ihrer Mentoren entwickelten. Chilton mochte mehr Macht über ihre Karriere haben, doch am meisten fürchtete sich Connie davor, Janine zu enttäuschen. Als hätte sie dieses momentane Aufflackern von Unruhe gespürt, hob Janine rasch den Daumen für Connie, teilweise versteckt hinter einem ihrer Arme.
    Rechts von Janine schließlich hockte der bucklige Professor Harold Beaumont, Historiker mit Fachgebiet Bürgerkrieg und eingefleischter Konservativer, der für seine gelegentlichen, übel gelaunten Leserbriefe an die New York Times bekannt war. Connie hatte nie enger mit ihm zusammengearbeitet und ihn bloß deshalb für ihr Prüfungsgremium ausgewählt, weil er vermutlich nur sehr geringes persönliches Interesse am Ausgang ihrer Prüfung hatte. Mit Janine und Chilton, so war ihre Überlegung, hatte sie bereits genug an Erwartungen zu erfüllen. Während ihr all diese Gedanken durch den Kopf gingen, spürte sie, wie Beaumonts dunkle Augen auf Schulterhöhe ein winziges rundes Loch in ihren Pullover brannten.
    Connie schaute auf die Oberfläche des Tisches und ließ ihren Blick über die eingeritzten Initialen wandern, die durch jahrzehntelanges Polieren mit Wachs nachgedunkelt waren. Dabei kramte sie in den Schubladen ihres Gehirns, auf der Suche nach der Antwort, die man von ihr hören wollte. Wo steckte sie nur? Sie wusste, dass sie irgendwo sein musste. War sie unter »H« wie »Hexerei« abgelegt? Nein. Oder unter »G« wie »geschlechterspezifische Themen«? Eine Gehirnschublade nach der anderen zog sie auf, riss ganze Hände voll mit Karteikarten heraus, blätterte sie durch, warf sie beiseite. Wieder stieg Übelkeit in ihr hoch. Die Karte war weg. Sie konnte sie nicht finden. All diese Geschichten über scheiternde Studenten, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte, sie handelten von ihr. Man hatte ihr die einfachste
aller erdenklichen Fragen gestellt, und sie brachte keine Antwort zu Stande.
    Sie würde mit Pauken und Trompeten durchfallen.
    Panik legte sich wie ein Nebelschleier vor ihre Augen, und Connie bemühte sich nach Kräften, ruhiger zu atmen. Das Wissen war da, sie musste sich nur genügend konzentrieren, um es zu erkennen. Die Fakten würden sie nie im Stich lassen. Fakten sind immer verlässlich . Verlässlich , sie sagte sich das Wort noch einmal vor. Aber halt – unter »V« wie »Volkskunde und Volksglaube in der Kolonialzeit« hatte sie noch nicht nachgeschaut. Sie zog die entsprechende Schublade in ihrem Gehirn auf, und da war es! Der Nebel lichtete sich. Connie
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