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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem
Autoren: Katherine Howe
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Thomas ein wenig einzuschüchtern – eine kleine Grausamkeit, die Connie mit dem Argument rechtfertigte, ein eingeschüchterter Student würde den Terminen, die sie ihm setzte, eher nachkommen und sich vielleicht auch mehr in seine Arbeit stürzen. Doch wenn sie ganz ehrlich war, steckte tatsächlich ein weniger ehrenhafter Beweggrund hinter ihren neckischen Quälereien. In Thomas’ Augen schimmerte Angst, wenn er sie anschaute, und das war ein Gefühl, das ihr den Rücken stärkte.
    »Außerdem ist das doch gar keine so eine große Sache, wie immer getan wird. Man muss einfach nur darauf vorbereitet sein, irgendeine Frage aus den rund vierhundert Büchern zu beantworten, die man bislang an der Graduate School gelesen hat. Und wenn man das verhaut, dann schmeißen sie einen raus«, hatte sie beim Mittagessen gesagt. Thomas bedachte sie mit einem Blick kaum verhohlener Ehrfurcht, während sie den Salat auf ihrem Teller mit der Gabel hin und her schob. Sie lächelte ihn an. Wer lernen wollte, Professor zu sein, musste auch lernen, sich wie einer zu benehmen. Es kam überhaupt nicht infrage, Thomas zu erkennen zu geben, wie groß ihre Angst war.
    Gewöhnlich stellte die mündliche Abschlussprüfung einen Wendepunkt dar – den Moment, in dem die Professoren den Prüfling mehr als Kollegen willkommen hießen und nicht mehr wie einen Schüler behandelten. Stand das Examen allerdings unter keinem guten Stern, konnte es auch zu einem spektakulären intellektuellen Blutbad geraten, dann nämlich, wenn der unvorbereitete Student – bei vollem Bewusstsein, aber machtlos – dabei zusehen musste, wie er beruflich auseinandergenommen
wurde. In jedem Fall würde Connie ihren Unzulänglichkeiten ins Auge blicken müssen. Sie war ein sehr sorgfältiger, genauer Mensch, der nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überließ. Während sie den halb aufgegessenen Salat weg von dem in Anbetung versunkenen Thomas über den Tisch schob, sagte sie sich, dass sie so gut vorbereitet war, wie es eben nur ging. Vor ihrem inneren Auge tauchten die vielen, vielen Regale voller Bücher auf, die sie sich zu Gemüte geführt, exzerpiert und in ihre Literaturliste aufgenommen hatte. Während sie ihre Gabel beiseitelegte, begann sie rasch eine kleine Ratestunde mit sich selbst. Wo sind die Bücher über Wirtschaft? Hier. Und die über Kulturund Sozialanthropologie? Ein Regal darüber, gleich links.
    Ein Schatten des Zweifels huschte über ihr Gesicht. Und wenn sie doch nicht genügend vorbereitet war? Eine erste Welle der Übelkeit drehte ihr kurzzeitig den Magen um, und ihr Gesicht wurde blasser. Jedes Jahr passierte das jemandem. Man hörte immer wieder diese Geschichten von Studenten, die alles vermasselt hatten, die schluchzend aus den Prüfungssälen rannten, weil ihre akademische Karriere zu Ende war, noch bevor sie begonnen hatte. Im Grunde gab es nur zwei Möglichkeiten, wohin das alles hier führen würde. Rein theoretisch konnte ihr heutiges Auftreten ihr Ansehen an der Fakultät deutlich erhöhen. Wenn sie sich richtig präsentierte, war sie bereits einen Schritt weiter auf der Karriereleiter und damit zur Professorenstelle.
    Es konnte aber auch sein, dass sie sich ihre Bücherregale im Kopf anschaute und feststellte, dass sie leer waren. All ihre Geschichtsbücher würden verschwunden sein, und an ihrer Stelle lag da nur noch ein etwas verstaubter Hefter mit den Inhaltsangaben von Fernsehserien aus den Siebzigerjahren sowie einigen Texten von Rocksongs. Sie würde den Mund aufmachen und nichts würde herauskommen. Und
dann würde sie ihr Zeug zusammenpacken und nach Hause gehen.
    Jetzt, vier Stunden nach ihrem Mittagessen mit Thomas, saß sie an einem auf Hochglanz polierten Mahagonitisch in einer dunklen, abgeschiedenen Ecke der Historischen Fakultät der Universität Harvard und hatte bereits ganze drei Stunden Befragung durch ein Gremium von vier Professoren über sich ergehen lassen. Sie war müde, befand sich jedoch gleichzeitig durch den Adrenalinausstoß in einem Zustand erhöhter Aufmerksamkeit. Connie erinnerte sich, die gleiche seltsame Mischung aus Erschöpfung und intellektueller Intensität empfunden zu haben, als sie die Nacht durchgemacht hatte, um dem abschließenden Kapitel ihrer Zulassungsarbeit am College den letzten Schliff zu verpassen. Ihre Nerven waren so überreizt, dass alles, was sie wahrnahm, sie zu bedrängen und nach Aufmerksamkeit zu schreien schien – das Kratzen des Textilbandes, mit dem sie ihren
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