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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem
Autoren: Katherine Howe
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hatten, wurden mehr und mehr durch Einwanderer aus England verdrängt, die sich eher für die geschäftlichen Möglichkeiten in den neuen Kolonien interessierten als für Religion. Ich glaube, die Prozesse waren ein Symptom für diese dynamische Veränderung. Außerdem handelte es sich um den letzten größeren Ausbruch von Hexenwahn in Nordamerika. In der Tat signalisierte der Hexenwahn
von Salem das Ende einer Epoche, die ihre Wurzeln im Mittelalter hatte.«
    »Eine sehr aufschlussreiche Analyse«, kommentierte Professor Chilton, noch immer in seinem ironisch-neckischen Ton. »Doch haben Sie nicht eine weitere bedeutsame Interpretation übersehen?«
    Connie lächelte ihn an – die nervöse Grimasse eines Tieres, das einen Angreifer in die Flucht schlagen will. »Ich bin mir nicht sicher, Professor Chilton«, antwortete sie. Jetzt spielte er mit ihr. Connie betete insgeheim um einen Zeitraffer, der es ihr ermöglichen würde, Chiltons Neckereien hinter sich zu lassen, und sie direkt in den Abner’s Pub katapultierte, wo Liz und Thomas auf sie warteten und sie sich endlich entspannen konnte. Wenn sie müde war, verschmolzen bei Connie die Worte manchmal miteinander, oder sie purzelten einfach so aus ihr heraus, ohne dass sie Kontrolle darüber hatte. Während sie Chiltons listiges Lächeln sah, bereitete es ihr Sorgen, sie könnte jenes Stadium der Erschöpfung langsam erreicht haben. Ihr blöder Schnitzer bei dem Wort »maleficium« war ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen. Wenn er sie doch bloß einfach die Prüfung bestehen lassen könnte …
    Chilton beugte sich nach vorn. »Haben Sie denn noch nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die Angeklagten der Hexerei schlicht und ergreifend schuldig waren?«, fragte er. Er blickte sie unter den hohen Bögen seiner Augenbrauen hinweg an, seine Finger bildeten ein kleines Dach über der Tischplatte.
    Sie schaute ihn einen Moment lang an. Eine Welle der Verärgerung, ja des Zorns, durchfuhr sie. Was für eine anmaßende Frage! Natürlich hatten die Teilnehmer an den Hexenprozessen in den Kolonien geglaubt, dass es Hexen wirklich gab. Doch kein heutiger Wissenschaftler hatte jemals diese
Möglichkeit in Betracht gezogen. Connie verstand nicht, warum Chilton sie so auf den Arm nahm. Wollte er damit hervorheben, wie tief unten sie noch auf der akademischen Karriereleiter stand? Ganz gleich, wie lächerlich es war, sie musste eine Antwort geben, denn Chilton stellte hier die Fragen. Ganz gewiss lagen seine eigenen Erfahrungen als Student des Abschlusssemesters zu lange zurück, um sich noch daran zu erinnern, wie schrecklich ein solches Examen war. Hätte er sich noch daran erinnert, würde er niemals solche Scherze mit ihr treiben wie heute.
    Oder doch?
    Sie räusperte sich, schluckte ihren Ärger hinunter. Noch war Connies Stellung im wissenschaftlichen Universum nicht hoch genug, um ihrem Frust Ausdruck zu verleihen. In Janines Augen las sie nicht nur Sympathie und aufrichtiges Mitgefühl, sondern sie sah auch das kaum wahrnehmbare Kopfnicken, das Connie signalisierte, sie möge fortfahren. Spring einfach durch den Reifen, sagte dieses Nicken. Wir wissen beide, dass es Überwindung kostet, aber du musst es tun.
    »Nun, Professor Chilton«, sagte sie, »keine der jüngsten Untersuchungen in der Sekundärliteratur hat dies als wirkliche Möglichkeit in Betracht gezogen. Die einzige Ausnahme, die mir einfällt, ist Cotton Mather. Im Jahre I705 verfasste er eine berühmte Verteidigungsschrift über die Urteile und die Hinrichtungen von Salem, geleitet von dem festen Glauben, dass die Gerichte damals vollkommen zu Recht gehandelt hatten, um die Stadt von echten, praktizierenden Hexen zu befreien. Zu etwa der gleichen Zeit veröffentlichte einer der Richter, Samuel Sewall, eine öffentliche Apologie für seine Beteiligung an den Prozessen. Natürlich hatte Cotton Mather, ein renommierter Theologe, damals auf eigenes Betreiben bei den Prozessen eine Beraterposition eingenommen. Gegen den Wunsch seines Vaters, des ebenso
berühmten Theologen Increase Mather, möchte ich hinzufügen, der von den Prozessen in Salem öffentlich gesagt hatte, sie basierten auf nicht zuverlässigen Beweisen. So mag Cotton Mather zwar argumentiert haben, in Salem habe es tatsächlich Hexerei gegeben und die Hinrichtung von fast zwanzig Menschen sei gerechtfertigt, doch hat er dabei wohl nur sein eigenes Süppchen gekocht. Sir.«
    Während Connie ihre Ausführungen zum Ende brachte, bemerkte
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