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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem
Autoren: Katherine Howe
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Räudige kleine Töle, dachte er. Gehört wahrscheinlich der kleinen Martha.
    »Dann kommt am Morgen wieder vorbei«, sagte Peter. Jonas nickte, tippte sich kurz an die Kante seines schweren Filzhutes und verschwand in der Nacht.
    Peter nahm auf dem niedrigen Hocker neben dem fast erloschenen Herdfeuer Platz, den Holzteller mit dem abgekühlten Linsengericht auf dem Tisch neben ihm. Er stützte das Kinn auf die Faust, sah zu, wie die sonderbare junge Frau seiner Tochter mit einer weißen Hand über die Stirn strich, hörte das leise, unverständliche Murmeln ihrer Stimme. Er hätte erleichtert darüber sein sollen, dass sie hier war, das wusste er, denn im Dorf war sie wohl bekannt. Dieser Gedanke war wie ein Strohhalm für ihn, an den er sich klammerte, so gut es ging. Und doch – während seine Augen sich langsam vor Müdigkeit und Sorge trübten und ihm der Kopf auf dem Arm schwer wurde, erfüllte ihn der Anblick seiner schmächtigen kleinen Tochter, wie sie dort in dem Bett lag und die Finsternis sich langsam um sie schloss wie eine Faust, mit nichts anderem als Furcht.

EINS
    Cambridge, Massachusetts
Ende April 1991
     
    U nsere Zeit ist fast um, scheint mir«, verkündete Manning Chilton und spähte mit einem funkelnden Auge auf seine dünne Taschenuhr, die mit einer Kette an seiner Weste hing. Er blickte forschend in die anderen vier Gesichter am Konferenztisch. »Aber noch sind wir nicht fertig mit Ihnen, Miss Goodwin.«
    Wann immer Chilton besonders zufrieden mit sich selbst war, wurde seine Stimme ironisch und neckisch zugleich: eine nicht zusammenpassende Gekünsteltheit, die seinen Studenten auf die Nerven ging. Connie nahm die Veränderung in seiner Stimme sofort wahr, und sie wusste, dass ihre Abschlussprüfung sich ihrem Ende zuneigte. Ein säuerlicher Geschmack stieg in ihrer Kehle hoch, und sie schluckte. Die anderen Professoren am Prüfungstisch erwiderten Chiltons Lächeln.
    Trotz ihrer Nervosität verspürte Connie Goodwin auch einen Hauch Genugtuung, und einen Moment lang gönnte sie es sich, dieses prickelnde Gefühl zu genießen. Hätte man sie nach dem bisherigen Verlauf der Prüfung gefragt, so wäre ihre Antwort gewesen, es sei recht gut gegangen. Mehr oder weniger. Ein banges Lächeln brach sich auf ihrem Gesicht Bahn, doch sie verbarg es rasch hinter der glatten Miene distanzierter Fachkompetenz, von der sie wusste, dass sie einer
jungen Frau in ihrer Lage wesentlich besser zu Gesichte stand. Es war ein Ausdruck, der sich bei ihr nicht von Natur aus einstellte, und die dazu notwendige Anstrengung erinnerte auf eher komische Weise an jemanden, der gerade in eine glitschige Khakifrucht gebissen hatte.
    Eine einzige Frage stand noch aus. Eine letzte Chance, die Prüfung doch noch in den Sand zu setzen. Connie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. Während der Monate vor ihrer Abschlussprüfung hatte sie abgenommen, zunächst nur langsam und dann in ziemlich rasantem Tempo. Nun fehlte ihren Knochen ein natürliches Polster auf dem harten Stuhlsitz, und auch der Fair-Isle-Pullover hing sehr locker um ihre Schultern. Tiefe Schatten lagen unter den schrägen Wangen, die sonst immer frisch und leicht gerötet waren, und ließen ihre blassblauen Augen, eingerahmt von weichen, kurzen braunen Wimpern, noch größer wirken. Die dunklen Brauen waren vom angestrengten Nachdenken finster zusammengezogen, die glatten Flächen ihrer Wangen und die hohe Stirn weiß wie eine Wand, nur von einem Hauch dunkler Sommersprossen gesprenkelt und durch ein scharfes Kinn und eine wohl geformte, wenngleich recht ausgeprägte Nase hervorgehoben. Ihre Lippen, dünn und blassrosa, wurden noch blasser, wenn sie sie, wie jetzt, aufeinanderpresste. Eine Hand wanderte nach oben und machte sich am zusammengebundenen Ende eines langen, borkenbraunen Zopfes zu schaffen, aber einen Moment später hatte sie sich wieder unter Kontrolle und legte die Hand in den Schoß zurück.
    »Ich kann es gar nicht glauben, wie ruhig du bist«, hatte Thomas, der schlaksige Student, dessen Tutorin Connie war, beim Essen am frühen Nachmittag zu ihr gesagt. »Wie bringst du heute bloß was runter? Wenn ich meine Mündliche vor mir hätte, wäre mir wahrscheinlich jetzt schon kotzübel.«

    »Thomas, dir ist doch schon vor den Tutoriensitzungen kotzübel«, hatte Connie ihm sanft in Erinnerung gerufen, obwohl es stimmte, dass es ihr den Appetit fast gänzlich verdorben hatte. Unter gewissem Druck hätte sie zugegeben, dass es ihr Spaß machte,
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