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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Autoren: Carson McCullers
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Die siehst du nie wieder. Aber vielen Dank. Das vergess ich dir nicht.«
    »Hals- und Beinbruch. Und lass mal von dir hören.«
    »Adios.«
    »Leb wohl.«
    Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Als er sich an der Ecke umsah, stand Brannon vor dem Haus und schaute ihm nach. Er ging bis zu den Eisenbahnschienen. Beiderseits standen heruntergekommene Zweizimmerbaracken, auf jedem der engen Hinterhöfe ein Plumpsklo und eine Wäscheleine mit zerrissenen, rußigen Lumpen. Drei Kilometer weit nicht eine wohnliche, geräumige oder saubere Behausung. Sogar die Erde wirkte verdreckt und vernachlässigt. Hier und da Gemüsebeete, auf denen aber nur ein paar verkümmerte Kohlköpfe standen. Einige verrußte Feigenbäume ohne Früchte. Und in diesem Dreck wimmelte es von Kindern, die kleinsten splitterfasernackt. Angesichts des grausamen Elends und all der Hoffnungslosigkeit ballte Jake grimmig die Fäuste.
    Als er den Stadtrand erreicht hatte, ging er auf der Landstraße weiter. Wagen überholten ihn. Seine Schultern waren zu breit, seine Arme zu lang, er sah zu stark und zu hässlich aus, als dass ihn jemand hätte mitnehmen wollen. Vielleicht würde doch bald ein Lastwagen anhalten. Es war später Nachmittag, die Sonne war wieder hervorgekommen. Das nasse Pflaster dampfte in der Hitze. Jake schritt gleichmäßig aus. Als die Stadt hinter ihm lag, fühlte er sich von neuer Energie durchströmt. Aber was war das nun – Flucht oder Vormarsch? Nun, jedenfalls ging er fort. Er musste noch einmal von vorn anfangen. Die Straße führte nordwestwärts. Aber allzu weit würde er nicht gehen. Er wollte im Süden bleiben, das stand fest. Er hatte noch Hoffnung – vielleicht sah er bald klarer, wohin die Reise ging.
    3
     
    abends
    Wozu das alles? Das hätte sie gern gewusst. Wozu, in Teufels Namen? Wozu all die Pläne, wozu die Musik? Wenn dabei nichts weiter herauskam als diese Falle: ins Geschäft, nach Hause zum Schlafen, dann wieder ins Geschäft. Die Uhr vor dem Laden, in dem Mister Singer gearbeitet hatte, zeigte auf sieben. Und sie kam erst jetzt aus dem Geschäft. Immer, wenn Überstunden gemacht werden mussten, wählte der Geschäftsführer sie aus. Weil sie länger stehen konnte und härter arbeiten als die anderen Mädchen.
    Nach dem Regenguss war der Himmel friedlich blassblau. Allmählich wurde es dunkel. Schon brannten überall die Lichter. Auf der Straße hupten die Autos, und die Zeitungsjungen riefen die Schlagzeilen aus. Sie hatte keine Lust, nach Hause zu gehen. Wenn sie jetzt nach Hause käme, würde sie sich aufs Bett legen und heulen – so müde war sie. Wenn sie aber ins Café New York ginge und ein Eis äße, würde sie sich vielleicht besser fühlen. Und rauchen und ein Weilchen allein sein.
    Der vordere Teil des Cafés war überfüllt; sie ging zur hintersten Sitzecke. Die Müdigkeit steckte vor allem in ihrem Rücken und im Gesicht. ›Immer schön gerade halten und lächeln‹ – das war die Losung im Geschäft. Wenn sie aus dem Laden heraus war, musste sie immer eine ganze Weile finster dreinschauen, damit ihr Gesicht sich wieder natürlich anfühlte. Sogar ihre Ohren waren müde. Die langen grünen Ohrringe pieksten in den Ohrläppchen, sie nahm sie ab. Sie hatte die Ohrringe vorige Woche gekauft, dazu einen silbernen Armreif. Anfangs hatte sie in der Küchenabteilung gearbeitet; jetzt war sie in die Schmuckabteilung versetzt worden.
    »Guten Abend, Mick«, sagte Mister Brannon. Er wischte ein Glas Wasser mit einer Serviette ab und stellte es auf den Tisch.
    »Ich möcht ein Schokoladeneis und ein kleines Glas Bier vom Fass.«
    »Zusammen?« Er legte die Speisekarte auf den Tisch und zeigte mit dem kleinen Finger, an dem ein goldener Frauenring steckte, auf verschiedene Gerichte. »Sieh mal – es gibt ein feines Brathuhn oder auch Kalbsgulasch. Willst du nicht mit mir ein bisschen was zu Abend essen?«
    »Nein, vielen Dank. Ich möchte bloß Eis und Bier. Beides schön kalt.«
    Mick fuhr sich mit den Fingern durch die Stirnfransen. Ihr Mund stand offen, und ihre Wangen wirkten eingefallen. Zwei Dinge gab es, die sie einfach nicht glauben konnte: dass Mister Singer sich das Leben genommen hatte und tot war und dass sie erwachsen war und bei Woolworth arbeiten musste.
    Sie hatte ihn gefunden. Als sie den Schuss hörten, glaubten sie, es wäre das Auspuffgeräusch eines Wagens. Erst am nächsten Tag wussten sie, was es gewesen war. Sie ging hinein, um Radio zu hören. Sein Hals war blutüberströmt, und
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