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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Autoren: Carson McCullers
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nicht, alleinzustehen.« In manchen Zeiten war das ein guter Rat.
    Jake rückte das Bett beiseite, unter dem ein Koffer, ein Stoß Bücher und schmutzige Wäsche lagen. Ungeduldig begann er zu packen. Er sah das Gesicht des alten Negers vor sich, und Teile ihres Gesprächs fielen ihm wieder ein. Dieser Copeland war verrückt, ein richtiger Fanatiker; mit dem vernünftig reden zu wollen – das konnte einen rasend machen. Trotzdem – den furchtbaren Zorn, in den sie in jener Nacht geraten waren, konnte er hinterher kaum verstehen. Copeland war ein Wissender. Und die Wissenden waren ein Häuflein Soldaten, das ungeschützt einem bewaffneten Bataillon gegenüberstand. Und was hatten sie getan? Sie hatten sich gestritten. Copeland hatte unrecht – jawohl –, er war verrückt. Aber schließlich und endlich: In manchen Punkten konnten sie zusammenarbeiten. Sie durften eben nicht so viel reden. Er wollte ihn besuchen. Plötzlich hatte er es damit sehr eilig. Vielleicht war das überhaupt das Beste. Vielleicht war es ein Zeichen, die Hand, auf die er so lange gewartet hatte.
    Er nahm sich nicht die Zeit, den Schmutz von Gesicht und Händen zu waschen; er schnallte den Koffer zu und verließ das Zimmer. Draußen war es schwül, und auf der Straße roch es faulig. Am Himmel waren Wolken aufgezogen. In der reglosen Luft stieg der Rauch aus dem nahen Fabrikschornstein kerzengerade in die Höhe. Der Koffer war ihm im Weg und schlug ihm bei jedem Schritt gegen die Knie. Immer wieder blickte er sich nervös um. Copeland wohnte am anderen Ende der Stadt, er musste sich also beeilen. Die Wolken am Himmel ballten sich zusammen und kündigten einen heftigen Sommerregen an.
    Als er vor Copelands Haus stand, sah er, dass die Jalousien heruntergelassen waren. Er ging ums Haus und spähte durchs Fenster in die ausgeräumte Küche. Das Herz stockte ihm, und seine Hände wurden feucht vor Enttäuschung und Verzweiflung. Er ging zum Nachbarhaus, aber niemand war daheim. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als zu den Kellys zu gehen und Portia zu fragen.
    Er hasste es, dieses Haus noch einmal betreten zu müssen. Ein unerträglicher Gedanke, die Garderobe in der Diele und die lange Treppe wiederzusehen, die er so oft hinaufgegangen war. Langsam näherte er sich dem Haus durch das Seitengässchen und betrat es dann durch die Hintertür. Portia war mit dem kleinen Jungen in der Küche.
    »Nein, Sir, Mr.   Blount«, sagte Portia. »Ich weiß, Sie waren ein mächtig guter Freund von Mr.   Singer, und Sie wissen, wie viel Vater von ihm hielt. Aber wir haben Vater heute Morgen raus aufs Land geschafft, und mein Herz verbietet mir, Ihnen zu sagen, wo genau er da ist. Nehmen Sie’s mir nicht übel – aber ich mag nicht drumherum reden.«
    »Sie brauchen um nichts rumzureden«, sagte Jake. »Aber warum denn?«
    »Nach dem Tag, wo Sie uns besucht haben, war Vater so krank, dass wir dachten, er stirbt. Hat lange gedauert, bis er wieder sitzen konnte. Jetzt geht’s ihm ganz gut. Wird wieder kräftiger werden da, wo er jetzt ist. Aber ob Sie’s verstehn oder nicht: Er ist grad jetzt gar nicht gut zu sprechen auf die Weißen, und außerdem regt er sich sehr schnell auf. Und außerdem, wenn ich fragen darf: Was wollen Sie überhaupt von Vater?«
    »Nichts«, sagte Jake. »Das verstehen Sie nicht.«
    »Wir Farbigen haben Gefühle genau wie alle andern. Und ich steh zu dem, was ich gesagt habe, Mr.   Blount. Vater ist bloß ein kranker alter Farbiger und hat schon genug Kummer gehabt. Wir müssen auf ihn aufpassen. Und er hat kein Bedürfnis, Sie zu sehen – das weiß ich.«
    Die Wolken hatten sich purpurrot verfärbt. Die Luft stand still, bald würde das Gewitter losgehen. Das grelle Grün der Bäume schien die Luft zu durchwirken: Die ganze Straße war in ein seltsam grünliches Licht getaucht. Es herrschte eine derartige Stille, dass Jake einen Augenblick stehen blieb, um sich schnuppernd umzusehen. Dann nahm er seinen Koffer unter den Arm und lief auf die schützenden Markisen der Hauptstraße zu. Doch er war nicht schnell genug. Ein metallischer Donnerschlag kühlte die Luft ganz plötzlich ab. Große, silbrige Regentropfen prasselten aufs Pflaster. Die Sturzflut machte ihn blind. Als er das Café New York erreichte, klebten ihm die Kleider knittrig am Körper, und seine Schuhe waren ganz durchnässt.
    Brannon schob die Zeitung beiseite und stützte die Ellenbogen auf die Theke. »Das ist aber wirklich merkwürdig. Grade, wie’s draußen
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