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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Autoren: Carson McCullers
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hatte.
    Dann sah er in der Sonne ein Taschenmesser aufblitzen. Mit den Schultern zerteilte er ein Menschenknäuel und sprang dem Neger, der das Messer hielt, auf den Rücken. Sie gingen beide zu Boden. Mit dem dichten Staub drang der Negergeruch in seine Lunge. Jemand trampelte über seine Beine hinweg, ein anderer trat ihm auf den Kopf. Als er wieder hochkam, war die allgemeine Schlägerei bereits im Gange. Neger gegen Weiße, Weiße gegen Neger. Er sah jede Einzelheit, Sekunde für Sekunde. Der Weiße, mit dem es angefangen hatte, schien eine Art Anführer zu sein, der Kopf einer Bande, die oft auf dem Rummelplatz war. Sechzehnjährige Burschen in weißen Leinenhosen und bunten kunstseidenen Polohemden. Die Neger verteidigten sich nach Kräften, manche mit Rasiermessern.
    Er fing an zu brüllen: Ruhe! Hilfe! Polizei! Aber er hätte ebenso gut gegen einen Dammbruch anbrüllen können. In seinen Ohren war ein grausiges Dröhnen – grausig, weil es von Menschen herrührte, aber nichts mehr mit menschlicher Sprache zu tun hatte. Es wurde zu einem Getöse, das ihn fast taub machte. Jemand schlug ihn auf den Kopf. Er nahm jetzt nicht mehr wahr, was um ihn herum vorging. Er sah nur noch Augen, Münder, Fäuste – wilde und zusammengekniffene Augen, verbissene und triefende Münder, schwarze und weiße Fäuste. Er riss ein Messer aus einer Hand und bekam eine erhobene Faust zu fassen. Dann war er von Staub und Sonne derart geblendet, dass er nur noch einen Gedanken hatte: herauszukommen, eine Telefonzelle zu suchen und Hilfe herbeizurufen.
    Aber er konnte sich nicht frei machen. Ohne zu wissen, wann es geschehen war, hatte er sich selber in den Kampf gestürzt. Er schlug mit den Fäusten zu und fühlte den weichen Brei feuchter Münder. Wie ein Wahnsinniger brüllend, kämpfte er, mit geschlossenen Augen, den Kopf geduckt. Er schlug mit aller Kraft um sich und stieß mit dem Kopf zu wie ein wütender Stier. Sinnlose Worte fuhren ihm durch den Kopf, er hörte sich lachen. Er sah nicht, wen er traf, und wusste nicht, wer ihn traf. Er merkte nur, dass der Kampf eine andere Form angenommen hatte: Jetzt kämpfte jeder für sich.
    Dann war es plötzlich vorbei. Er stolperte und fiel hintenüber. Er verlor das Bewusstsein und wusste nicht, ob eine Minute oder viel mehr Zeit vergangen war, als er wieder die Augen aufschlug. Ein paar Betrunkene machten noch weiter, aber zwei Schutzleute schafften bald Ordnung. Jetzt sah er, worüber er gestolpert war: Er lag halb auf der Leiche eines jungen Negers. Er sah auf den ersten Blick, dass er tot war. Sein Hals hatte an der Seite einen Schnitt, aber es war schwer zu erkennen, wieso er so rasch gestorben war. Das Gesicht kam ihm bekannt vor, er konnte es aber nicht unterbringen. Der Junge lag mit offenem Mund da, die Augen verwundert aufgerissen. Alles war mit zerbrochenen Flaschen, zerknülltem Papier und zertrampelten Buletten übersät. Eine Verkaufsbude war eingefallen, und einem Karussellpferd war der Kopf eingeschlagen. Er setzte sich auf. Als er die Schutzleute bemerkte, rannte er in panischer Angst davon. Inzwischen hatten sie wohl seine Spur verloren.
    Noch vier Blocks – dann war er in Sicherheit. Er keuchte vor Angst und rang nach Luft. Mit geballten Fäusten und geducktem Kopf rannte er weiter. Dann wurde er langsamer und blieb schließlich stehen. Er befand sich in einer menschenleeren Gasse nahe der Hauptstraße. Auf der einen Seite stand ein Haus. Keuchend sackte er gegen die Mauer; in seiner geschwollenen Stirnader hämmerte es. In seiner Verwirrung war er durch die ganze Stadt zu Singers Haus gerannt. Und Singer war tot. Er fing an zu weinen. Er schluchzte laut; die Tropfen aus seiner Nase nässten den Schnurrbart.
    Eine Mauer, eine Treppe, dann eine Straße. Die Sonnenglut lastete wie ein eisernes Gewicht auf ihm. Er ging langsam denselben Weg zurück, während er sich das nasse Gesicht mit dem schmutzigen Ärmel abwischte. Sein Mund wollte nicht aufhören zu zittern; er biss sich auf die Lippen, bis er Blut schmeckte.
    An der nächsten Straßenecke stieß er auf Simms. Der alte Kauz saß, seine Bibel auf den Knien, auf einer Kiste, vor einem hohen Bretterzaun. Darauf hatte er mit roter Kreide geschrieben:
    Er starb, um Euch zu erlösen
Hört die Geschichte Seiner Liebe und
Barmherzigkeit
Jeden Abend um 7   Uhr   15
    Sonst war kein Mensch auf der Straße. Jake wollte auf die andere Seite hinübergehen, aber Simms fasste ihn beim Arm.
    »Kommt alle, die ihr verzagt
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