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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Autoren: Carson McCullers
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was bedeutete das schon? Von seiner jahrelangen Arbeit konnte er nichts nennen, was bleibenden Wert hätte.
    Nach einer Weile ging die Tür zur Diele auf, und Portia kam herein. »Ich werd dich wohl anziehn müssen wie ein kleines Baby«, sagte sie. »Hier deine Schuhe und Strümpfe. Komm, gib die Pantoffeln her, ich zieh dir die Schuhe an. Wir müssen zusehn, dass wir wegkommen.«
    »Warum hast du mir das angetan?«, fragte er bitter.
    »Was hab ich dir jetzt angetan?«
    »Du weißt sehr wohl, dass ich nicht fort will. Du hast mich so lange bedrängt, bis ich ja gesagt habe, obwohl ich zu keiner Entscheidung fähig war. Ich will hier bleiben, wo ich immer war, das weißt du ganz genau.«
    »Hör mal – so ein Benehmen!«, sagte Portia ärgerlich. »Du hast so viel gegrummelt, dass ich bald mit meinen Nerven am Ende bin. So viel Hin und Her und Theater – muss mich wirklich schämen für dich.«
    »Pah! Rede du nur – das macht mir nicht mehr aus als ein Mückenstich. Ich weiß, was ich will. Ich lasse mich nicht zu etwas drängen, das ich für falsch halte.«
    Portia nahm ihm die Pantoffeln ab und entrollte ein Paar saubere schwarze Baumwollsocken. »Vater, wir wollen nicht mehr streiten. Wir alle haben unser Bestes gegeben, so gut wir das eben können. Ist bestimmt das Beste für dich, dass du rausziehst zu Großpapa und Hamilton und Buddy. Sie werden gut für dich sorgen, und du wirst wieder gesund werden.«
    »Nein, das werde ich nicht«, sagte Doktor Copeland. »Hier, nur hier kann ich mich erholen. Das weiß ich.«
    »Und wer soll die Miete für das Haus zahlen, was denkst du? Wie sollen wir dich ernähren? Wer soll hier für dich sorgen?«
    »Ich bin immer allein zurechtgekommen, und ich werde auch jetzt allein zurechtkommen.«
    »Du willst bloß widersprechen.«
    »Pah! Macht mir nicht mehr aus als ein Mückenstich. Du bist Luft für mich.«
    »Sehr nett, so mit mir zu reden, wenn ich dir Schuhe und Strümpfe anziehn will.«
    »Es tut mir leid. Verzeih mir, meine Tochter.«
    »Natürlich tut’s dir leid«, sagte sie. »Natürlich tut’s uns allen beiden leid. Wir können uns das nicht leisten zu streiten. Außerdem, wenn du dich erst mal eingelebt hast auf der Farm, wird’s dir schon gefallen. Einen so hübschen Gemüsegarten haben sie da. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn ich nur dran denke. Und Hühner und zwei Wurf Schweine und achtzehn Pfirsichbäume. Du wirst gar nicht mehr wegwollen da. Wirklich – ich wünsch mir, ich könnte dahin gehen.«
    »Das wünschte ich auch.«
    »Warum willst du dich unbedingt grämen?«
    »Ich habe nur das Gefühl, dass ich versagt habe.«
    »Wie meinst du das: versagt?«
    »Ich weiß nicht. Lass mich nur, meine Tochter. Lass mich nur noch einen Augenblick friedlich hier sitzen.«
    »Gut. Aber dann müssen wir zusehn, dass wir loskommen.«
    Er sehnte sich nach Stille. Ruhig schaukelnd im Stuhl sitzen, bis er noch einmal das Gefühl hatte, dass in seinem Innern Ordnung herrschte. Sein Kopf zitterte, und der Rücken tat ihm weh.
    »Eins hoff ich wirklich«, sagte Portia. »Wenn ich tot und begraben bin, dass dann so viele Leute um mich trauern wie um Mr.   Singer, das hoff ich. Ich wüsste zu gern, ob ich auch so ein trauriges Begräbnis haben werde und so viele Leute…«
    »Scht!«, fuhr Doktor Copeland sie an. »Du redest zu viel.«
    Der Tod des weißen Mannes erfüllte sein Herz mit düsterem Kummer. Mit ihm hatte er reden können wie mit keinem anderen Weißen, ihm hatte er vertraut. Singers rätselhafter Selbstmord hatte ihn betroffen und hilflos zurückgelassen. Dieser Kummer hatte weder Anfang noch Ende. Unbegreiflich war das alles. Immer wieder kreisten seine Gedanken um diesen Weißen, den Einzigen, der nicht unverschämt oder herablassend, sondern gerecht gewesen war. Und wie konnten die Toten wirklich tot sein, wenn sie in den Seelen der Hinterbliebenen fortlebten? Aber an all das durfte er nicht denken. Er musste es überwinden.
    Nun hieß es, Disziplin üben. Während des letzten Monats war wieder das dunkle, schreckliche Gefühl in ihm aufgekommen, das seine Seele zu überwältigen drohte. Der Hass, der ihn tagelang an der Schwelle zum Tod verharren ließ. Nach dem Streit mit Mr.   Blount, dem nächtlichen Gast, war nichts als zerstörerische Finsternis in ihm gewesen. Noch jetzt konnte er sich nicht genau besinnen, wie diese Auseinandersetzung angefangen hatte. Und dann die andere Wut, die ihn beim Anblick von Willies Beinstümpfen überkam.
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